Prozessbericht zum 24. G20-Verfahren am 27.10.17 (1.Tag)

Der erste Prozesstag am AG Altona endete nach einer Reihe von Anträgen der Verteidigung mit der Ablehnung der meisten Anträge und einer Vertagung der vorgesehenen Vernehmung der Polizeizeugen auf die folgenden Prozesstage.

Der Prozess wurde solidarisch im Gerichtssaal und mit Transpis vor dem Gerichtsgebäude begleitet. Es gab eine penible Kontrolle aller Prozessbesucher_innen und stets präsente Beamt_innen in schusssicheren Westen.

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen am 08.07.17 in der Juliusstraße eine mit sich geführt zu haben, und Polizeibeamte (PB) mit einer Bierflasche ( = Waffe / gefährlicher Gegenstand / Werkzeug) angegriffen zu haben. Eine daraus resultierende Verletzung eines PB ist nicht bekannt.

Die Verteidigung stellt einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens aufgrund § 260, Abs.3 Rechtsstaatswidrigkeit, da der Anspruch auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren nicht gewährleistet sei. Begründet wird dies mit dem polizeilichen Vorgehen während des G20, Verstößen gegen die Mindestanforderung für ein Strafverfahren (u.a. wegen fehlender Übersetzung bezüglich Information über den Vorwurf der Festnahme, erst auf dem PK 16 Aushändigung eines Belehrungsbogens, keine Vorwurfsdarlegung, konsularische Kontaktaufnahme trotz gegenteiligen Wunsches) und weiteren Verstößen während des G20 (Persilschein von Olaf Scholz „hervorragende Arbeit“, „keine Polizeigewalt“, „harte Bestrafung“, generalpräventive Maßnahmen sowie eine Vorverurteilung in der Presse „bürgerkriegsähnliche Zustände“, „Festgenommene und ihre Straftaten“=entgegen der Unschuldsvermutung, Verhältnismäßigkeit im Vergleich zu bspw. Frankreich).

Richter Kloss stimmt dem weitgehend zu, er komme aber zu anderen Schlüssen.

Die Staatsanwältin (StA) fordert die Schuldfeststellung – oder die Feststellung der Nichtschuld. Der Vorwurf des Landfriedensbruches wird fallengelassen.

Die Verteidigung sieht eine Einflussnahme auf die Verfahrenswahrnehmung, die Festnahmesituation wird in Beziehung gesetzt mit der Gesamtsituation.

Der Richter findet eine Kritik an Scholz in Ordnung, sieht aber keinen Einstellungsgrund oder ein Verfahrenshindernis – der Antrag wird ohne weitere Begründung abgelehnt.

Die Verteidigung verlangt eine gerichtliche Entscheidung, die abgelehnt wird, da von der Prozessordnung nicht vorgesehen.

Die Verteidigung stellt einen weiteren Antrag bezüglich der Zeugenvernehmung (Verwertungswiderspruch).

Es wird ein Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot bezüglich des PB Hollmann (?) (Mitglied des USK Nürnberg, entspricht BFE in HH) beantragt, der als Tatbeobachter (Tabo) vor Ort war. Der Einsatz entbehrt einer Rechtsgrundlage.

Dazu wird Antrag gestellt, Dudde, einen Tabo-Führer und weitere Personen der Polizeiführung als Zeugen vorzuladen und zum Einsatz ziviler Tatbeobachter zu vernehmen, unter Beiziehung der Polizeidienstvorschrift 100 (einzige Regelung des Einsatzes für zivile Tatbeobachter, wobei eine Dienstvorschrift kein Gesetz ersetzen kann): Daher bedarf der Einsatz Sonderregelungen. Der Einsatz ist nicht von der StPO gedeckt (Einsatz verdeckter Ermittler (§163, Abs.1), auch sonst besteht keine Rechtsgrundlage (z.B. Generalklausel), das Legalitätsprinzip wird nicht umgesetzt (Verpflichtung Polizeibeamter zum Einschreiten), der Verpflichtung der StA die Tabos anzuleiten und zu überwachen wurde nicht nachgekommen, der Einsatz des auswärtigen USK ist legislativ nicht begründet, es stellt sich die Frage nach der Legitimität des Polizeieinsatzes insgesamt.

Außerdem wird dem Tabo Hollmann vorgeworfen, eine Körperverletzung gegen den Beschuldigten durch drei Personen beobachtet und nicht eingegriffen oder dies gemeldet zu haben. Es gab weder eine Anzeige noch eine Personenbeschreibung an uniformierte PB´s vor Ort.

Laut Verteidigung gab es in vorhergehenden Verfahren einige dieser Anträge, die alle abgewiesen wurden, bei genauerer Befassung kam es durch andere Gerichte nicht zu Verurteilungen.

Ein zweiter Antrag der Verteidigung bezieht sich auf die Vernehmung der Polizeizeugen ohne Verkleidung. Mit Verweis auf die StPO sei dies nur bei einem besonderen Schutzbedürfnis vorgesehen und erlaubt (bei Gefährdung, etc.), was nicht geprüft wurde, die Aussagegenehmigung, in der die Maskierung angefordert wird, ist eine generelle für alle Tabos in Bayersn aus 2016. Zudem ist ein solches Schutzbedürfnis eher für Verdeckte Ermittler vorgesehen, die dauerhaft ausschließlich verdeckt arbeiten. Es stelle einen Verstoß gegen den Fair-Trial-Grundsatz dar.

Die StA beantragt in ihrer Stellungnahme eine Zurückweisung des Antrags auf Zeugenladung von Dudde etc., auf die weiteren Inhalte des Antrags geht sie nicht ein. Den Antrag bezüglich der Zeugenverkleidung weist sie aufgrund einer Gefährdung durch Übergriffe zurück. Außerdem sei der PB einmal erkannt nicht mehr einsetzbar.

Die Verteidigung kritisiert, dass es darum gehe, den Zeugen erkennen zu können.

Der Richter lässt eine Verkleidung aufgrund der Fürsorgepflicht des Gerichts zu, sofern die Mimik des Zeugen zu erkennen ist.

Nach der Mittagspause deutet der Richter an heute ein Urteil zu fällen.

Die Verteidigung formuliert erneut die Anträge auf Verwertungswiderspruch (fehlende Rechtsgrundlage für Zeugenaussage, Einsatz aus anderen Bundesländern nur bei Gefahr in Verzug vorgesehen) und Veränderung des Erscheinungsbildes des Zeugen (bei Gefährdung für Leib und Leben, der Zeuge ist unerreichbares Beweismittel und daher unzulässig).

Die Anträge werden zurückgewiesen, da die StPO die gewünschten Zwischenanträge nicht berücksichtige. Da noch weitere Anträge der Verteidigung folgen und eine Zeugenvernehmung unwahrscheinlich erscheint, wird diese auf die folgenden Prozesstage verlegt.

Es folgt ein Antrag der Verteidigung auf Ladung eines (namentlich vorgeschlagenen) Wahrnehmungs- und Aussagepsychologen. Der Sachverständige soll darlegen, dass eine vermeintliche Identifizierung nicht richtig sein muss. Bei PBen sei die Einschätzung der eigenen Aussagesicherheit bei gleicher Trefferquote im Vergleich zu anderen Berufsgruppen höher. Dies berge Gefahren für die Identifizierungsrichtigkeit. Darüber hinaus gab es extrem ungünstige Bedingungen in der betreffenden Situation. Eine schlechte Sicht, die Unübersichtlichkeit der Situation, die kurze Dauer der Wahrnehmung, ähnliche Kleidung in tumultartiger Situation und eine angespannte Stresssituation des Zeugen führen zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer fehlerhaften Identifizierung.

Des Weiteren wirke sich die Aktenkenntnis des Zeugen auf die Aussage aus. Bei der Betrachtung einer Aussage muss es einen Ausgang von der Nullhypothese aus geben, das heißt, dass die Aussage angezweifelt, und von dort aus auf Richtigkeit überprüft werden muss. Es muss eine Analyse der Konstanz der Aussage geben. Beides werde durch das Vorhandensein der Aktenkenntnis verunmöglicht.

Darüber hinaus liege eine Belastungsmotivation vor, das heißt, dass ein Freispruch als Niederlage angesehen wird. Dies verunmögliche eine Bewertung nach Nullhypothese.

Die StA stellt einen Antrag auf Ablehnung, man kenne den Zeugen nicht und wisse nicht, wie er reagiere.

Die Verteidigung merkt an, dass dies zeige, warum ein Sachverständiger (SV) erforderlich sei. Ein SV könne aufzeigen, warum Aussagen (ungewollt) problematisch sein können.

Die StA erwidert, dass die Beamten der BFE darin besonders geschult seien.

Die Verteidigung greift dies als guten Punkt auf. Sachverständige bei einem Berliner Gericht haben dargelegt, dass dies zu einer Kumulation ungünstiger Wahrnehmungsbedingungen führen kann.

Der Antrag auf einen SV wird vom Gericht abgelehnt, (§244, Abs.2), da das Gericht von der Sachkunde, Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit des Zeugen überzeugt sei.

Die Verteidigung bekräftigt den Antrag, da der Zeuge wegen Unterlassung (bezüglich der KV dreier Personen gegen den Beschuldigten) selbst straffällig geworden sein könnte.

Der Richter entscheidet, vor seiner Vernehmung soll eine Belehrung nach §55 stattfinden, wegen möglicher Unterlassung im Zusammenhang mit einer Straftat.

Über die Dudde-Anträge soll am folgenden Freitag entschieden werden.

Von der Verteidigung wird die Möglichkeit der Filmvorführung erfragt.

Der nächste Prozesstag findet am Fr., 03.11.17 in Raum 201 statt.