Elbchaussee-Prozessbericht vom 26. Juni 2019

Es wurde ein Sachverständiger zum Thema „Schwarzer Block“ vernommen
(Politikwissenschaftler an der Uni Bremen und zugl. „Protestforscher“).
Er ist Mitherausgeber der Schrift „Eskalation – Dynamiken der Gewalt im
Kontext der G20-Proteste in Hamburg 2017“.

Zunächst legte er die Geschichte des Begriffs „Schwarzer Block“ kurz
dar (Selbstbezeichnung autonomer Gruppen 1980/81 im Rahmen der Startbahn
West – Proteste oder „Erfindung“ der Staatsanwaltschaft bei der
Strafverfolgung derselben).
Beim “Schwarzen Block” handele es sich nicht um eine (konkrete)
Gruppierung o.  Ä.. Vielmehr sei es eine Demo-Taktik zur Vermeidung von
Identifizierung und als Symbol der Militanz. Das Symbol der Militanz
grenzte er sehr genau von tatsächlicher Gewalt ab, weil das Symbol der
Militanz in aller Regel gerade nicht mit in Taten umgesetzter Militanz
einhergehe. In Göttingen habe es bei der Antifa mal eine Gruppe gegeben,
die mit Helmen vermummt als Schwarzer Block angetreten sei, aber in
Absprache mit der Polizei auf tatsächliche Gewalt verzichtet habe.
Letztlich sei es symbolische Kommunikation von Geschlossenheit und Entschlossenheit.

Die “Schwarzer Block”- Taktik werde mittlerweile auch von Personen
unterschiedlicher politischer Spektren praktisch identisch genutzt.

Aus dem gemeinsamen Auftreten als Schwarzer Block könne nicht
geschlossen werden, dass es zuvor irgendeine Art von Verabredung gegeben
habe. In aller Regel seien es antihierarchische „Zusammenschlüsse“, bei
denen Kleingruppen von drei bis zehn Personen relativ autonom agieren
würden. Im Rahmen allgemeinerer Vorabsprachen zwischen verschiedenen
Akteur*innen gebe es gegebenenfalls Konsenslösungen, die sich soweit
verständigen würden, dass sich verschiedene teilnehmende Protestformen
nicht gegenseitig beschränken würden. Würden Protestformen
praktiziert, die nicht von einem (mehr oder weniger) allgemeinen Konsens
getragen würden, würde das danach in der Regel zu heftigen Diskussionen
führen. Das sei auf öffentlich zugänglichen Plattformen auch
hinsichtlich des G20-Gipfels und der Elbchaussee zu beobachten gewesen .
Er gehe davon aus, dass die Geschehnisse in der Elbchaussee für alle –
nicht nur die Polizei – nicht vorhersehbar gewesen seien. Auch die
einzelnen Teilnehmer oder Kleingruppen, die sich dem Protest
angeschlossen hätten, hätten sicher nicht gewusst, was da im Einzelnen
passiert. Es gebe einen sehr weitgehenden Konsens, dass unbeteiligte
Personen bei Protesten nicht zu Schaden kommen dürften.
Polizeibeamt*innen seien keine Unbeteiligten in diesem Sinne, weil sie
als Repräsentanten des Staats „das Gegenüber“ darstellen würden.

Ausserdem trat er noch der (staatsanwaltschaftlichen) These entgegen,
dass andere europäische Szenen potenziell gewaltbereiter seien als die
deutsche. Die Zusammenhänge würden sich allenfalls durch ihre
Entstehungsgeschichte und -bedingungen unterscheiden, nicht aber in
ihrer grundsätzlichen Haltung. Auch im (europäischen) Ausland gebe es
durchaus kreative und andere Protestformen, die beispielhaft in ganz
Europa seien.

Letztlich gab er dem Gericht noch mit auf den Weg, dass er zwar
seinerzeit im Morgenmagazin gesagt habe, dass das alles sehr
außergewöhnlich gewesen sei. Heute würde er das aber so nicht mehr
aufrecht erhalten. Vielmehr stehe es in einer gewissen Tradition der
Gipfelproteste, die sich regelmäßig durch eine Vielzahl
unterschiedlicher, auch überraschender Aktionsformen auszeichnen würden.
Für Hamburg müsse man sicher auch beachten, dass der Gipfel seine eigene
Militanz-Dynamik entwickelt habe. Vieles nach dem 06.07. sei aus Sicht
vieler Beteiligter eben auch auf das brutale Vorgehen der Polizei bei
Welcome to hell zurückzuführen .

Die Kammer hat dann am Schluss noch Haftfortdauer für Loic angeordnet.
Aus ihrer Sicht besteht der dringende Tatverdacht gegen ihn fort (in
vermindertem Umfang auch wegen Elbchaussee) auch der Haftgrund der
Fluchtgefahr liege aufgrund der drohenden „mehrjährigen“ Haftstrafe noch
vor.

Am 29.07. geht es weiter, bis dahin ist prozessual erstmal Sommerpause.