Verleihung des Hans-Litten-Preises 2018 an den Anwaltlichen Notdienst und das Legal Team beim G20

Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen hat Ende Oktober den Hans-Litten-Preis an den Anwaltlichen Notdienst zum G20 in Hamburg und den G20-EA verliehen. Der Preis wird alle zwei Jahre an mutige Jurist*innen vergeben, die sich durch ihr vehementes Eintreten für das Recht hervorgetan haben, besonders, „wenn Recht und Gesetz unter politischen und gesellschaftlichen Druck geraten sind“. 

Auszüge aus den Dankesreden der Preisträger*innen:

„Wer während der Tage des Protests gegen den G20-Gipfel festgenommen
worden ist, und über dessen weitere Freiheitsentziehung nach
Polizeirecht oder nach den Vorschriften der Strafprozessordnung zu
entscheiden war, begegnete einem eigens hierfür eingerichteten Gericht,
an dem um die 100 Richter und Richterinnen tätig gewesen sind, die sich
freiwillig für diese Tätigkeit gemeldet hatten. Das Gericht hieß nach
dem Ortsteil, in dem es untergebracht aufgebaut worden war „Neuland“. Dass man das ganz anders, als geographisch verstehen konnte, ist mir erst vor kurzem aufgefallen.
Dieses Sondergericht hat ein Strafrecht zur Anwendung gebracht, das der
Strafrechtslehrer und Rechtsphilosoph Günther Jakob in den 80iger Jahren
des vergangenen Jahrhunderts als Feindstrafrecht beschrieben hat.
Jakobs hat damit ein Strafrecht bezeichnet, das bestimmten Gruppen von
Menschen die Bürgerrechte versagt und sie als Feinde der Gesellschaft
oder des Staates außerhalb des für die Gesellschaft geltenden Rechts
stellt. Im Feindstrafrecht sind alle zur Verfügung stehenden Mittel
erlaubt. Es ist deshalb kein Strafrecht im herkömmlichen Sinne, sondern
ein von rechtsstaatlichen Bindungen befreites Instrument zur Gefahrenabwehr.
Zur Erläuterung das Beispiel eines von mir vertretenen jungen Mannes:
In einem Hamburger Gewerbegebiet ist am frühen Morgen des 7. Juli 2017
eine Demonstration von 2- 300 Personen unterwegs gewesen, die sich an
Aktionen in der Hamburger Innenstadt beteiligen wollten. In der Straße
Rondenbarg ist sie auf eine Polizeieinheit getroffen. Es ist zu einer
sehr kurzen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf aus der
Demonstration einige, etwa sechs, Steine und einige Bengalos in Richtung
der Polizei geworfen worden sind. Die Polizei hat die Demonstration
innerhalb weniger Sekunden im wahrsten Sinne des Wortes zerlegt. Es sind
alle Personen, die im Bereich dieses Geschehens angetroffen worden sind,
festgenommen und dem Haftgericht vorgeführt worden. So auch mein
Mandant. Zur Vorführung vor den Haftrichter lag eine Akte vor, in der
über ihn nichts drin stand, außer, dass er am Rondenbarg festgenommen
worden war. Nicht wo und unter welchen Umständen. Erst recht keine
einzige konkrete strafbare Handlung, die ihm zum Vorwurf gemacht werden
sollte.
Es ist ein Haftbefehl gegen den Mandanten ergangen. Die Begründung
lautete auszugsweise:
„Er ist offensichtlich als reisender Krimineller nur zur Begehung von
Straftaten im Rahmen des G20-Gipfel nach Hamburg gekommen… Es handelt
sich um eine geplante und organisierte Tat, wobei sich die Beteiligten
im Vorfeld gezielt bewaffnet und vermummt haben. Dabei ist insbesondere
dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der Aufzug offenkundig
ausschließlich mit dem Ziel zusammengeschlossen hat, zielgerichtet die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu untergraben und dieses gewaltsam durchzusetzen.“
Wie gesagt, zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nicht einmal, wo der
Mandant festgenommen worden war, geschweige denn, was er vor Ort
überhaupt getan hatte, ob er überhaupt etwas strafrechtlich relevantes
getan hatte. […] Staatsanwaltschaft und Gerichte haben hier, jenseits
rechtsstaatlicher Grundgarantien, die Strafverfolgung ohne Straftat
etabliert. Die gibt es seitdem.
Parallel zu dem Geschehen am Rondenbarg hat sich ein Aufzug schwarz
gekleideter Personen durch Altona bewegt, aus dem heraus tatsächlich
eine Vielzahl von Straftaten begangen worden ist. Es hat sich hierbei im
wesentlichen um angezündete Autos und eingeworfene Scheiben gehandelt.
Seit Juni, also seit nunmehr vier Monaten, sitzen zwei junge Männer
aus dem Frankfurter Raum in in Hamburg in Untersuchungshaft, denen
Vorgeworfen wird, Teil dieses Aufzuges gewesen zu sein. Ihnen wird
ausdrücklich nicht vorgeworfen, sich selbst an einer einzigen der dort
begangenen Straftaten beteiligt zu haben. Dennoch hat die StA sie der
Mittäterschaft aller dort begangenen mehr als 130 Taten angeklagt,
allein weil sie sich nicht von dem Aufzug distanziert hätten.
Das ist Feindstrafrecht! Das alles zeigt, wie dünn das demokratische
Eis, auf dem wir uns bewegen, auch im Bereich der Strafjustiz geworden
ist. Sich dieser Entwicklung entgegenzustellen halten wir für die Aufgabe
und die Pflicht aller demokratisch gesonnen Juristinnen
und Juristen.“

„Er [Fabio] wurde festgenommen und dem G20-Sondergericht Hamburg-Neuland
zugeführt. Ohne die Behauptung eines konkreten Vorwurfs wurde Haftbefehl
wegen Landfriedensbruchs erlassen. Der Haftgrund: Fluchtgefahr, er sei
Italiener. Auf die Haftbeschwerde wollte das Landgericht verschonen,
doch das Hanseatische Oberlandesgericht beschloss die Haftfortdauer. […]
„Zwar hat der Beschuldigte im elterlichen Haushalt in Italien
(vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 20
a) einen polizeilich gemeldeten Wohnsitz und geht – eigenen Angaben
zufolge – einer festen Arbeit nach. Die Art der Tatausführung belegt
aber, dass er jederzeit bereit und in der Lage ist, sich – auch in
anderen Staaten und fremden Kulturen – kriminellen Strukturen
unmittelbar anzuschließen und in ihnen unterzutauchen.“
Die Sprache ist maßlos, sie ist erschreckend. So bekämpft man einen
Feind, der das Jugendrecht, die Unschuldsvermutung und
Beschuldigtenrechte nicht verdienen soll, weil in ihm – dem unbekannten
jungen Menschen – eine allumfassend drohende Gefahr für die bürgerliche
Ordnung vermutet wird. Fabio V. wurde erst Ende November aus der U-Haft
entlassen. Im Januar 2018 schlug das Amtsgericht nach neun
Verhandlungstagen vor, das Verfahren einzustellen.
Die „drohende Gefahr“ – deren Teil Fabio V. angeblich war – ist das
Kernstück aller neuen Polizeigesetze. Durch Annahme dieser Gefahr wird
die Befugnis zu tiefen Eingriffen in die Grundrechte aufgeschaltet. Die
Deutungshoheit darüber, was eine drohende Gefahr ist, hat die Polizei.
Es handelt sich um die Neuschöpfung eines Rechtsbegriffs. Sie verändert
das Polizeirecht im Kern und senkt die Schwelle für polizeiliches
Eingreifen rasant ab. Bisher unterschied das Polizeirecht zwischen
abstrakter und konkreter Gefahr. Polizeiliche Eingriffe waren nur bei
konkreter Gefahr erlaubt. Nun reicht eine – oft aus geheimdienstlichen
Quellen stammende – Vermutung.
G20 war von Seiten der Polizei vielleicht ein Test, jedenfalls ein
Beispiel: Hamburg dokumentierte das Bild eines Polizeistaats, das Bild
einer Aufstandsbekämpfung – aber es fehlte der Aufstand. Die drohende
Gefahr waren die Demonstranten, waren die GrundrechtsträgerInnen.
[…] Die wirkliche Gefahr kommt von den noch Mächtigen, die sich das
Recht nehmen, immer neue Mauern gegen die Armen dieser Welt zu
aufzubauen, um ihren fast grenzenlosen Reichtum zu bewahren. Sie
definieren es heute als Recht, die Retter der Ertrinkenden im Mittelmeer
als Kriminelle vor die Gerichte zu zerren. Sie definieren es heute als
Recht, die in Richtung der USA marschierende Flüchtlingskarawane mit
militärischer Gewalt zurückzuschlagen. Was sich ankündigt, ist wieder
eine Zeit der Unmenschlichkeit, wieder eine Zeit der Barbarei und es
wird wieder so getan, als sei dies Recht, weil es in einem Gesetz steht.“