Elbchaussee-Prozess am 20.09.19 und 25.09.19

Der Prozesstag war ein intensiver Video-Tag. Zuerst hat die Verteidigung
von Loic erneut mit Widersprüchen gegen die Inaugenscheinnahme des
Videomaterials gerichtet. Wie bereits üblich
hat die Kammer die Widersprüche zurückgewiesen. Zumindest eröffneten die
Widersprüche aber die Möglichkeit, mit der Kammer Sinn und Zweck der
Inaugenscheinnahme zu erörtern. Diese wertet es derzeit so, dass sie
aus Transparenzgründen die Videos mit allen Beteiligten (erneut) in der
Hauptverhandlung ansieht, um deutlich zu machen, welche Stellen aus
ihrer Sicht maßgeblich sind, was (vorläufig) für Schlussfolgerungen aus
den Bildern seitens des Gerichts gezogen werden und so weiter. Das ist
zwar alles nicht „greifbar“, weil es nirgendwo notiert wird (auch darum
ging es in den Widersprüchen von Loics Verteidigung), aber immerhin wissen wir alle, woran wir sind. Wir haben uns dann erneut die von Zeugen eingesandten Videos angesehen.

Am 25.09. wurden zuerst verschiedene Zeugen („instruierte Vertreter“)
der Eigentümer der beschädigten Häuser an der Max-Brauer-Allee gehört.
Diese brachten Rechnungsmaterial aus der Schadenbeseitigung mit. Es
stellte sich heraus, dass die Häuser praktisch sämtlich „in Immobilienfonds
eingebracht“ sind (Beispielsweise: Continentale –> Immobilie erworben
von Conntinentale, veräußert an Immobilienfonds, Eigentümer eine
Kapitalverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Dortmund…). Die
Schadenberechnungen sind teils vollkommen wirr, weil unterschiedliche
Schadennummern unterschiedlichen Geldgebern gegenüber angezeigt wurden
(z.B.:wurde gegenüber der eigenen Versicherung eine andere Schadennummer
als gegenüber Härtefonds angegeben). Das würde sicher für einige Monate
Beschäftigung sorgen, wenn die Kammer nicht schon mitgeteilt hätte,
gegebenenfalls durch Schätzung die Schäden zu „ermitteln“. Aber auch
hierfür braucht es eine Schätzgrundlage, so dass auch hier noch einiges
an Aufklärung auf die Hauptverhandlung zukommt.

Dann kam der Zeuge Waldorf, der „Polizeiführer vor Ort“ der
Bundespolizeieinheit aus Blumberg am Bahnhof Altona war. Er berichtete,
morgens am 07.07.2017 den Auftrag bekommen zu haben, mit zwei
Trupps Versammlungsteilnehmer aufzuklären, die sich am Bahnhof Altona
treffen und dann in die Innenstadt fahren sollten. Sie hätten den
Auftrag von einem „Eingreifzug“ der Blumberger übernommen,der eher für
die rustikalen Einsätze sei, der woanders eingesetzt worden sei – der
Zeuge meinte: Nähe Reeperbahn. Die Versammlungsteilnehmer am Bahnhof
seien ganz normales Klientel gewesen. Ein Trupp habe die Menschen von
Altona aus in der Bahn begleitet, mit seinem Trupp sei er dort
geblieben. Irgendwann habe er dann eine Gruppe dunkel gekleideter und
vermummter Personen gesehen, nach seinem „schnellen Durchzählen“ ca. 100
Personen. Davon seien ca. 10-20 auf sie zugestürmt und hätten sie mit
Steinen beworfen („Steinhagel“), so dass er sich für einen Rückzug
entschieden habe. Er und seine Kollegen seien auf die Fahrzeug gegangen
und im Kreis um den ZOB gefahren, dann wieder Richtung „Störer“. Diese
seien dann aber schon weg gewesen. Er habe sich zuvor und hinterher noch
nie in seinem ganzen polizeilichen Leben zurückgezogen, das sei das
erste Mal gewesen. Trotz hartnäckigem Nachfragen wollte ihm außer einer
Situation auf dem Bahnhofsparkplatz mit seinem Vorgesetzten keine
Nachbesprechung zu diesem (aus polizeilich-blumberger Sicht:
desaströsen) Einsatz mehr einfallen. Er habe mehrfach gefunkt mit der
Befehlsstelle der Bundespolizei, das werde auch alles dokumentiert und
gespeichert / aufbewahrt. Vor Ort habe er auch mit einem Zivilbeamten
gesprochen, das sei aber deutlich vor Erscheinen der Gruppierung
gewesen. Dieser habe auf einmal an ihren Fahrzeugen gestanden und sich –
hochwahrscheinlich nach Vorzeigen des Dienstausweises oder nach
Mitteilung der Tagesparole – mit ihm und eventuell auch anderen unterhalten.
Ein Zivilbeamter, der „Anziehen, anziehen…“ gerufen habe, sei ihm
nicht untergekommen. Letztlich bleibt nach der Aussage dieses
Polizeibeamten stehen, dass es vor Ort mindestens 4 Zivilbeamte im
unmittelbaren Zusammenhang mit dem Auftauchen der „Vermummten“ gab:
Dangschat / Scheller (beide vom PK21), der „Anziehen, anziehen, jetzt
geht es los“ – Beamte und der Zivi, der sich vorab bereits mit dem
Zeugen Waldorf unterhalten haben soll. Wo diese zivile Aufklärung dann
abgeblieben ist, als es „los ging“, ist mit Ausnahme Dangschat /
Scheller unklar. Von diesen beiden ist immerhin klar, dass sie zum PK21
geflohen sind.

Die Kammer hat schließlich noch einen Beschluss verkündet, mit dem die
weitere Vernehmung der Sachverständigen Wittwer-Backofen
(Identifizierung Loic anhand Bildmaterials) abgelehnt wurde. Die
Kammer will nicht – wie von der Verteidigung beantragt – der
Sachverständigen weiteres Videomaterial zur Prüfung übersenden, ob auch
weitere Personen auf dem Bildmaterial die „anthropomorphischen“
Eigenschaften der für Loic gehaltenen Person aufweisen. Als Begründung
führt die Kammer an, dass sie aufgrund der ersten Vernehmung der
Sachverständigen über genügend eigene Sachkunde verfüge. Als
einigermaßen hinterhältig in der Begründung ist, dass der Verteidigung
mitgeteilt wird, auch sie selbst verfüge mittlerweile über eigene
Sachkunde. Dies habe die Kammer feststellen können, als bei der
Befragung der Sachverständigen die Verteidigung auch nach anderen
Personen auf dem Bildmaterial gefragt habe. Die Kammer zieht also jetzt
unmittelbar das Verteidigungsverhalten in der Hauptverhandlung heran, um
Beweis(ermittlungs)anträge zurückzuweisen. Das ist schon einigermaßen
bösartig…

Am 23.10. soll es weitergehen, jetzt ist ein Monat Pause. Für den 06.11. ist ein Rechtsgespräch vorgesehen, in dem es insbesondere um die Fragen „Demo?“ und „Beihilfe / Zurechnung der (strafrechtlichen) Verantwortlichkeit auch über eigene Anwesenheit hinaus?“ geht.