Ein kurzer Beitrag für das transnationale Treffen von einem ehemaligen G20 Gefangenen

Ich bin vor einem Monat aus dem Gefängnis raus gekommen. Ich kann nicht wirklich zu diesem Treffen kommen. Trotzdem ist nichts vorbei, auch nicht für mich. Es sind immer noch Menschen für die G20 Revolte im Knast, etliche Ermittlungen laufen noch, viele Verfahren werden noch kommen und die Stimmung dieser Tage kann noch nicht vorbei sein. So möchte ich, als ein Individuum das seinen kleinen Teil in all diesem getan hat, ein paar Worte senden.

Ich möchte meinen Standpunkt teilen und ich verdanke immer noch allen die mich während meiner Zeit im Gefängnis unterstützt haben einiges. Egal ob wir dieselben oder verschiedene Perspektiven darauf haben was im Juli und in den darauf folgenden Monaten in Hamburg passiert ist, lasst mich sagen, dass ich jede Form der Unterstützung die ich von der ‘United We Stand’ Kampangne bekommen habe, aufrichtig schätze. Es hat mir sehr dabei geholfen meine Gedanken frisch und am leben zu halten. Also, Danke an euch!

ÜBER G20 UND DIE GIPFEL DER STAATEN UND DES KAPITALISMUS

In diesen Arten von Situationen haben wir prinzipiell immer zwei verschiedene Aspekte vor uns: Den Gipfel und alle Premier Minister*innen, Kapitalist*innen, Diktator*innen und Delegationen von Politiker*innen die sich hier treffen und die Stadt in der dieser Gipfel stattfindet.

Ich denke, dass wir weder vorraus sehen können, noch so tun sollten als ob wir alles vorraus sehen könnten, was in so einem Kontext alles passieren kann. Aber wir können zwei, teilweise verschiedene, Analysen unterscheiden, die generell von Wert sind. Wir sehen die Macht des Kapitalismus nur in den Entscheidungszentren oder wir können Kapitalismus auch als Gegenstand der gesamten Beziehung denken, die in der Gesellschaft erschaffen wird,

Ich denke auf jeden Fall, dass G20 oder ähnliches, vulgäre zur Schau Stellungen von Macht sind, die innerhalb der Gegebenheiten irgend eine Art von offener Rebellion verdienen. Wenn wir allerdings den zweiten Standpunkt betrachten, können wir klar erkennen wie die modernen Metropolen die lieblings Spielplätze des Kapitalismus sind und unsere aller ersten Käfige repräsentieren. Moderne Metropolen sind Unterdrückung und Ausbeutung an sich.
Sie sind nicht nur die Orte, an denen wir die Hauptpräsenz von Bullen, Banken, Immobilien Agenturen, Gerichtshäusern, Einkäufszentren usw, sehen, sie sind die wirklichen Grenzen unserer täglicher Leben. Metropolen sind die Orte, die unsere Beziehungen in Form von Geld gestalten. Sie sind die Orte, an denen wir kaufen und unsere Körper verkaufen. Die Orte, die unsere Entfremdung durch Konsumverhalten definieren. Technologien die machen, dass wir Produkte kaufen, die von Sklav*innen tausende Kilometer weit weg hergestellt wurden.
Bullen verteidigen das normale funktionieren der Metropole, sie verteidigen nicht nur die Besitzer*innen und die in ihren Elfenbeintürmen verschlossenen Politiker*innen. Also finde ich es ziemlich offensichtlich, dass eine urbane Revolte in 2017 auch eine Revolte gegen die Metropole an sich ist, was wohl mehr oder weniger im Bewusstsein aller Menschen die daran teil genommen haben ist.

Ausser unseren besetzten Häusern, Sozialzentren, Sozialhäusern, Bibliotheken usw, sehe ich keine sicheren Zonen für Revolutionär*innen in einer Metropole. Getrifikationsprozesse die überall in Europa passieren zeigen diese Mechanismen sehr gut. Es gibt keine ‘Viertel der Arbeiterklasse’ mehr. Innerhalb der Metropole produzieren wir nichts was wir wirklich brauchen. Wir konsumieren nur während Ihre Kontrolle sich über uns ermächtigt.

Gewiss passieren während einer metropolischen Revolte auch DInge die manche Genoss*innen nicht wirklich gut finden, aber das sollte uns nicht überraschen und niemand könnte vorgeben eine Revolte zu ‘kontrollieren’. Sicherlich werden militante Strukturen nach einer Revolte belastet und sicherlich werden die Medien des Regiems alles daran setzten die Revolte politisch zu diskreditieren. Wir müssen entscheiden ob urbane Revolten für Revolutionär*innen heutzutage nützlich sind oder nicht. Wenn wir wahrhaftig all die weiten Teile der Gesellschaft involvieren wollen, die sich die meiste Zeit nicht bewusst feindschaftlich gegen Autoritäten ausdrücken, die aber dieselben sind, die an Ausbeutung und Ausgrenzung leiden, ohne sich dessen politisch bewusst zu sein. Ich nehme an, Revolte ist notwendig und kann nicht auf etwas wie einem Mittelweg gehen.

Wenn sich jemand über das brennen kleiner Autos, die Plünderung kleiner Läden oder das Verhalten betrunkener Leute beschwert, sich über Leute die sich nicht vermummen oder Leute die Selfies vor brennenden Barrikaden machen beschwert, sollten wir wissen das diese ‘Probleme’ nicht aus den Tagen der Revolte kommen sondern aus all den anderen Tagen an denen keine Revolte stattfindet. Den Tagen wenn unser Raum und unsere Zeit von der Gehorsamkeit gegenüber dem Staat definiert ist.

Ich denke wir sollten wirklich mehr darüber reden wie wir unsere Beiträge zu einer urbanen Revolte verbessern. Beides, wenn wir sie für einen bestimmten Zweck ‘gestartet’ haben oder wenn nicht. Aber eine Revolte ist etwas ausser Kontrolle und jede*r sollte eigene Ziele und Grundsätze haben ohne dabei zu denken alles was passiert kontrollieren zu können. Was wir sicherlich tun können (und ich denke wir müssen) ist Vorschläge und Anregungen zu geben. Ich denke manchmal wir sind gut darin und Hamburg ist ein Beweis dafür.

Ich persönlich habe mich nie sehr um die ‘roten Zonen’ oder symbolische Aktionen neben den Palästen der Macht gekümmert aber ich schätze es sehr, dass jede*r und jede verschiedene Gruppe ihre Bemühmungen in ihre eigene*n Ziele gesteckt hat ohne zu versuchen andere Praktiken zu verhindern. In dem Land in dem ich lebe ist es sehr schwer Heterogenität von Praktiken zu finden die nicht doch an einem Punkt in einem rauen Konflikt enden.
Ich denke das Zerschlagen des Monopols der Gewalt das der Staat inne hat sollte das Hauptding sein und ich bin froh das dies in Hamburg passiert ist und in einem größen Umfang möglich war.

SOLIDARITÄT

Ich denke ihr habt sehr gute Strukturen die Gefangene unterstützen, also möchte ich nur sehr kurz darüber sprechen. Ich bin überzeugt das Solidarität der Kampf an sich ist. Wenn wir nicht dazu in der Lage sind so etwas wie Hamburg zu wiederholen, sollten wir dennoch diese Stimmung am Leben erhalten und all die verschiedenen Praktiken reproduzieren die an diesen Tagen passiert sind. Blockaden, direkte Aktionen, wilde Demos und so weiter.

Jede*r sollte sich verbessern und mit ihren*seinen* eigenen Analysen und Praktiken weiter machen. Ich denke dies sollte nicht von den politischen Positionen der Gefangenen abhängen. Niemand ist repräsentativ für eine Revolte oder Besitzer*in einer Praxis oder eines spezifischen Moments. Gefangene, in diesem Fall, sind nur Menschen die zufällig in den Strassen gefangen wurden und sie repräsentieren nur sich selbst.

PROZESSE

Ich gehe direkt zum vorherigen Punkt. Das Hauptproblem ist die Art wie die Verfahren ausgeübt wurden. Jeder G20 Gefangene hat unterschiedliche Termine und unterschiedliche Gerichte in einer ziemlich langen Periode (von Ende August bis Ende November (?)). Ihr habt gute Arbeit geleistet alle ‘united’ zu halten, also habt ihr nicht so viele beschwerden darüber, wie ich vor kurzem gehört habe.

Ich kann nur meine Erfahrungen aus dem Knast teilen. Wir waren, an einem Punkt nach den ersten zwei Prozessen, sogar so weit mit 7-8 G20 Gefangenen einen kollektiven öffentlichen Brief zu schreiben. Ich denke das wäre sehr gut.
Ich werde hier nicht die spezifischen Gründe erläutern warum wir am Ende keinen Brief geschrieben haben, weil diese Sache auch andere Leute involviert. Aber der Hauptgrund ist diese Art, dass alle Anschuldigungen und Infos uns nur schrittweise bekannt wurden. Das hatte hauptsächlich den Effekt, dass unsere politischen Unterhaltungen im Knast geblockt wurden und alle dazu gedrängt waren, hauptsächlich über das eigene Verfahren und bürokratischen Scheiss nach zu denken und zu reden. Die Angst nach dem ersten Verfahren hat den Rest gegeben. Seit Anfang September war es unmöglich eine gemeinsame Position zu haben, selbst unter den Gefangenen die mehr miteinander redeten.

Es sieht so aus, dass ich sage im Grunde genommen funktioniert Repression sehr gut, was wir, wenn wir ehrlich sind, nicht wirklich leugnen können. Ansonsten hätten wir Revolten wie die im Juli jeden Monat in jeder Region Europas. Ich möchte hier deutlich sein, für jede Entscheidung liegt die Verantwortung bei der Person die diese Entscheidung trifft. Wir streiten viel über das ‘Entschuldigen’ oder das Erzählen wilder Geschichten für die Richter*innen. Aber dies ist sehr schwierig da sich alles hauptsächlich auf die eine juristische Situation des Angeklagten bezieht und nicht auf deren politische oder ethische Entscheidungen. Ich meine, Leute die sich von Anfang an ‘entschuldigen’ wollten haben das am Ende nicht getan und Leute die nie daran gedacht haben sich zu ‘entschuldigen’ mussten sich zumindest am Ende damit auseinandersetzen. Alles veränderte sich im Knast zu schnell für Leute ohne große Erfahrung mit Haft. Unvollständige Infos von den anderen Verfahren, juristische Papiere die ständig reinkamen, unvollständige Infos aus Zeitungen und Fernsehen usw.. Ich möchte ehrlich und klar über meine Entscheidungen sein. Ich fühle mich nicht so als müsse ich etwas rechtfertigen aber ich bin gewöhnlich offen, vorallem mit den Menschen die mich unterstützen. Alle Entscheidungen die ich getroffen habe sind komplett meine Verantwortung.

Natürlich würde ich mich nie entschuldigen. Ich habe schon 8 Urteile (neben 2-3 weiteren Verfahren die noch kommen) die in den nächsten paar Jahren definitiv werden (hier sind juristische Verfahren sehr viel langsamer als in Deutschland). Ich habe immer (zusammen mit anderen angeklagten Genossinn*en) während der Verfahren eine politische Erklärung verlesen und meinen Anwalt seinen Job machen lassen. Ausser einem mal als ich direkt beim klauen in einem Laden erwischt wurde und ich das gleiche tat wie in meinem Prozess in Hamburg.

Mir ist bewusst, dass das ‘Zugeben’ aus verscheidenen Perspektiven nicht ok ist. Was ich am meisten fühle, ist das Fehlen der Gelegenheit zu sagen was ich denke wenn jemand mich beurteilen will. Aber es war eine rationale Entscheidung und ich bereue sie nicht. Ich fühle nicht das ich im Gericht kooperiert hätte. Ich fühle mich am schlimmsten weil ich mich sehr schlecht in den Umständen meiner Verhaftung verhalten habe. Sie hatten Fotos, Videos, Kleidung aufgesammelt und sehr detailierte Beobachtungen. Als mir klar wurde das der Staatsanwalt mehr als 2 Jahre für mich fordert habe ich ab einem bestimmten Punkt die Möglichkeit in Erwägung gezogen ‘Ja, das bin ich’ zu sagen, falls mir dies die Chance bietet das Verfahren zu beschleunigen und Bewährung zu bekommen. Also habe ich es getan. Prinzipiell habe ich mich sehr passiv gefühlt, was schlimm genug ist aber dieses Mal habe ich entschieden es ist besser für mich so schnell wie möglich aus dem Knast zu gehen. Schlicht.

Leider bin ich nicht da aber ich würde trotzdem gern mit euch allen diskutieren was ihr mit ‘politischen Verfahren’ meint. Ich denke das Gericht kann nicht wirklich ein Feld unseres Kampfes sein. Wenn wir mit den Augen der ‘Macht’ gucken ist jedes Verfahren ‘politisch’. Gesetzte und Staaten sind gemacht um Eigentum, die besitzende Klasse und die dominante Kultur zu verteidigen. Auf unserer Seite glaube ich nicht, dass ein Verfahren mit normaler juristischer Verteidigung ein angreifendes Verfahren ist, nur weil die fraglichen ‘Straftaten’ politisch motiviert sind.
Ich wusste zum Beispiel nichts über die deutschen Gesetzte hinsichtlich Riots bevor ich in einem deutschen Knast gelandet bin. Ich kenne Gesetzte in meinem Land aber das ändert mein Verhalten gegenüber den Bullen nicht. So ist eine juristische Verteidigung nicht etwas, dass meine politische position irgendwie definiert. Mir ist es ziemlich egal ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist oder nicht, ob die Riots von den Bullen oder den Demonstrant*innen angefangen wurden. Dies alles sind nicht meine Punkte. Natürlich ist es ein starker Unterschied eine eigene politische Erklärung mit einer normalen juristischen Verteidigung zu machen oder das zu tun, was ich in Hamburg getan habe. Darum geht es nicht. Es geht darum in wie weit wir denken, das ein Gericht ein Feld unserer Kämpfe sein kann. Ich habe wahrscheinlich keine feste Antwort. Ich meine, dass es einen echten politischen Prozess des Bruches dann gibt, wenn verweigert wird, die Richter*innen, das Gericht und die Gesetzte an zu erkennen und wenn, wann immer möglich, verschieden versucht wird, das vorran gehen des Prozesses zu unterbrechen. Es müssten dazu krasse Bemühmungen in Erwägung gezogen werden, die nicht sicher ein richtiges Ziel erreichen werden wenn sie nicht gut mit den Genoss*innen draussen koordiniert werden.

Dies sind nur kurze Reflektionen und ein schneller Überblick über meine Erfahrungen von denen ich mir wünsche, dass sie hilfreich für eine Debatte sind. Ich bin immer offen dafür Ideen zu teilen und kritisiert zu werden. Es ist der einzige Weg den ich kenne, meine Aktionen zu verbessern. Ich werde den Geist der Hamburger Revolte gegen G20 für eine sehr lange Zeit behalten, auch trotz der 3 Monate die ich im Knast verbracht habe. Lasst mich noch hinzufügen, dass ich viel Solidarität von anderen Gefangenen erhalten habe, was bedeutet, dass es noch viele ‘Underdogs’ ausserhalb unseres Millieus gibt, die die Bedeutung von Kampf sehr gut verstehen.

So, ich möchte herzliche Grüße an alle schicken, die auf den Strassen Hamburgs wärend dieser Tage im Juli gehandelt haben und an alle die mich im Knast unterstützt haben. Danke euch!

Nach wie vor erhobenen Hauptes.

ein ehemaliger G20 Gefangener