Überarbeiteter Beitrag von „Solidarisch Kämpfen“ aus Hamburg, der am 17.12.19 in der Roten Flora auf einer Diskussionsveranstaltung zu Repression gehalten wurde.
Am Freitag, den 13.12., wurde morgens gegen 8 Uhr der Wagen des Innensenators Grote der Hansestadt Hamburg mit Farbflaschen von einem militanten Zusammenhang „Angry Birds“ angegriffen. Im gepanzerten Dienstfahrzeug befand sich Grote mit seinem Kind samt Fahrer. Die Aufregung und die Hetze der herrschenden Klasse, wegen einiger Farbkleckse auf ein Auto ihres Führungspersonals der Exekutive, war groß. Alle bürgerliche Parteien einschließlich der Linken, distanzierten sich von diesem „Anschlag“. Ebenso ihre Medien. Das „Hamburger Abendblatt“ vom 14.12. bezeichnete diese Aktion als „Angriff auf unsere Werte.“ Die gesamte Reaktion zeigt, wie sehr sie sich alle angegriffen fühlen. Deshalb fordern sie nicht nur schärferes Durchgreifen, sondern sie diffamierten und de-legitimierten so auch alle, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen.
Wenn Schneider von der Linkspartei im Abendblatt 2018 sagte: „Gewalt ist undemokratisch“, trägt sie zu Spaltung und somit zur Jagd auf diese antagonistische Linke bei. Das Ziel ist, Friedhofsruhe und staatliche Omnipotenz im Inneren herzustellen, damit die imperialistische BRD Gewalt und Kriege ungestört hier und international durchführen kann.
Aktionen, die das kapitalistische System in Frage stellen, lahmlegen und stürzen wollen, treffen die Herrschenden ins Mark.
Dabei ist es egal, ob das nun eine militante oder eine nicht so militante Intervention ist.
In dem 1971 erschienen Buch „Im Vorfeld des Krieges“ schreibt Frank Kitson, der damalige Kommandant der 2. Rheinarmee in der BRD, dass „Subversion und Aufruhr gegenwärtige Formen der Kriegsführung sind, auf die sich die Streitkräfte einstellen müssen.“ Kitson verfügte über Erfahrungen in der Unterdrückung von Befreiungskämpfen im Trikont sowie auch in Nordirland. Unter Subversion verstand er nicht nur Aktionen von bewaffneten Gruppen, sondern auch legale Aktionen von der unbewaffneten Bevölkerung, die Regierung zu stürzen „oder diese gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu zwingen.“ (Zitiert aus Bakker Shut, Stammheim, Seite 181/182)
Desinformationspolitik damals
Folglich reichen die Reaktionen der Herrschenden auf den Angriff auf Grote von Repressionsdrohungen bis zu Desinformationskampagnen.
Es ist auch immer ein Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen, der immer dann einsetzt, wenn sich die herrschende Klasse angegriffen fühlt und so ihre Macht in Frage gestellt wird.
Voß, Leiter des hamburgerischen Verfassungsschutzes, sagt in der „Zeit“ vom 27.12.19: „Diese Attacke und weitere schwerste linksextremistische Straftaten wie in Leipzig machen deutlich: Wir nähern uns stark der Schwelle zum Linksterrorismus …“
Da der Bezug zu RAF auch schon von Medien und Geheimdiensten mehrmals hergestellt worden ist, werfen wir einen Blick auf die Desinformationspolitik gegen die Guerilla vor 50 Jahren, um damit auch Bezüge zu heute herstellen zu können.
„Die deutschen Sicherheitsbehörden wollten die RAF in den 1970er Jahren offenbar auch mit einer gezielten Desinformationskampagne bekämpfen“ schrieb der Spiegel am 11. April 2009. „So hat im Oktober 1975 (der damalige Chef des Bundeskriminalamts [BKA] Horst Herold) … Grundsätze der Desinformation zur Terrorismusbekämpfung ausarbeiten lassen … Um neue entscheidende Schläge gegen die Terroristenszene führen zu können … werden verstärkt nachrichtendienstliche Mittel notwendig sein … Die Bekämpfungsinstrumente müssen kreativ entwickelt werden.“ (Spiegelartikel 16/2009 „Krieg der Lügen“)
Was meinte Herold damit? „Desinformation ist ein neu zu schaffendes Kampfmittel, das neben der Formung der bisherigen Kampfmittel … tritt.“ Gefälschte Nachrichten (so Herold weiter) „sollten durch Einschleusung in Rundfunk, Fernsehen oder in das RAF-Umfeld platziert werden.“ Dienen sollten die Maßnahmen (laut Herold) dem „Eindringen in gegnerische Gruppen mit dem Ziel der Störung“ unter anderem durch „Entheroisierung der Terroristen.“ (ebenda)
Die Stuttgarter Staatschützer schlugen vor, ihre Pläne „zusammen mit Spezialisten anderer Behörden (BFV, BND, Bundeswehr – Gruppe Psychologische Kriegsführung) zu erörtern und zu vertiefen“
Psychologische Kriegsführung gegen die RAF
„Um die RAF-Leute in der Öffentlichkeit als ‚gewöhnliche Kriminelle‘ und ‚miese Typen‘ darzustellen, ‚die sich nicht scheuen, Anschläge gegen Unbeteiligte … zu verüben‘, schlagen die Staatsschützer gar die ‚Planung von Anschlägen auf die Trinkwasserversorgung Berlin‘ vor“ – und auf „das Hamburger Elektrizitätswerk.“
Die „Desinformationskampagne“ und die Planungen waren aber längst schon Realität – spätestens seit 1970:
„Weg von den Straßen und in die Keller“ – Baader-Bande droht Stuttgart für Freitag drei Bomben an“ schrieben die Stuttgarter Nachrichten am 29.5.1972. Es sollten angeblich an drei Stellen der Stadt ziellos Bomben gegen die Bevölkerung gezündet werden. Das war zu der Zeit, als die RAF ihre „Mai-Offensive“ gestartet hatte und u.a. die US-Headquarter in Heidelberg und Frankfurt angegriffen hatte. Es wurden dort die zentralen Computer, die die Bombenangriffe auf Vietnam koordinierten, zerstört und teilweise außer Kraft gesetzt und somit konnten die mörderischen US-Bombardements mit deutscher logistischer Hilfe nicht fortgeführt werden.
Die RAF dementierte umgehend am selben Tag diese Desinformationskampagne. „Die Aktionen der Stadtguerilla sind gegen die Institutionen des Klassenstaates, des Imperialismus, des Kapitals gerichtet. Sie werden niemals gegen die arbeitende Bevölkerung gerichtet sein, gegen die Menschen, die mit den Verbrechen des Imperialismus nichts zu tun haben. Sie sind gegen die gerichtet, die so maßlose Anschläge gegen die Bevölkerung planen, wie sie in den gefälschten Erklärungen angekündigt worden sind, wie sie jetzt täglich von US-Imperialismus gegen das vietnamesische Volk begangen werden … .“ (labourhistory.net/raf)
Doch blieb es nicht nur bei Drohungen, sondern Bomben wurden tatsächlich gezündet, wie in Bremen im Dezember 1974. Die Gefangenen aus der RAF erklärten dazu: „Aktionen der RAF richten sich niemals gegen das Volk. Die Bombe, die am Samstag im Bremer Hauptbahnhof explodierte, erweist sich durch die Wahl des Ziels als Fortsetzung der Praxis der Staatsschutzpolizei.“ Die Gefangenen erklärten außerdem, dass nun „zur Einschüchterung und Disziplinierung des Volkes … nicht mehr allein das faschistische Mittel der Drohungen“ genutzt werde wie bereits „mit Bomben wie im Juni 1972 gegen Stuttgart, mit Raketen wie im März 1974 gegen Millionen Zuschauer der Fußballweltmeisterschaft, mit Trinkwasserverseuchung wie im August 1974 gegen die Bevölkerung Baden-Württembergs“, sondern die Staatsschutzpolizei dazu übergegangen sei „ihre Provokationen in die Tat umzusetzen, mit dem Risiko, unter der Bevölkerung ein Blutbad anzurichten“. (Die Gefangenen aus der RAF, 9. Dezember 1974)
Mehr dazu im GI 347
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/gefan084.html
Wie ist heute auf Desinformationen zu reagieren?
Deutlich ist an diesem historischen Rückblick geworden, dass der Staat auf Aktionen nicht nur mit Repression reagiert, sondern auch mit psychologischer Kriegsführung.
Die Lügen, Verdrehungen und Diffamierungen der Herrschenden wurden damals von der RAF und den Gefangenen dementiert, also richtig gestellt.
Anfang der 1990er Jahre machten das übrigens auch die Autonomen Ralf und Knud aus Hamburg. Ihnen wurde vorgeworfen, Gipsplatten auf Gleise gelegt zu haben, um Züge zu entgleisen und Personen zu gefährden. 300-facher Mordvorwurf lautete die Anklage und sie wurden für 6 Monate in den Knast gesteckt!
Auch die Aktivist*innen von Angry Birds stellten die Falschinformation richtig, dass es nicht stimmt, dass das Kind täglich von Grote zur Kita im Wagen transportiert wurde. Das Kind war natürlich für sie kein Angriffsziel.
Weitere Mittel der Widerstandsbekämpfung
„Um das Gift des Linksextremismus“ (HH-Abendblatt 20.12.19) besser zu bekämpfen, stellt der Senat ein Präventionskonzept dazu vor. „Die Lösung kann nicht allein beim Senat liegen, nicht in der Schulung von Lehrern … Sondern in der klaren Verurteilung von Gewalt und Trennung von Personen und System.
Zu lange haben sich die Linke – von der Roten Flora bis hin zu gemäßigten Gruppen – dazu nicht durchringen können“
Zurück zu dem Abendblattartikel „Angriff auf unsere Werte“
„Wir brauchen eine Debatte um den Schutz … Und diese muss im Kleinen beginnen …Wer T-Shirts mit Aufschriften … All Cops are Bastards trägt … ist ein … klammheimlicher Sympathisant der Täter! Wer Polizisten als „Bullenschweine“ bepöbelt, bereitet den Nährboden für solche Anschläge.“
Alles was die Bullen in Frage stellt, selbst auf verbalerr und plakative Ebene, soll verschwinden und getilgt werden aus unseren Zentren und Plätzen, also aus unseren Köpfen und unserem Bewusstsein.
Schon früher plante die Klassenjustiz vergeblich das Lied „Bullenschweine“ von Slime zu kriminalisieren.
In den Artikeln zu Grote kommt auch die Angst der Herrschenden rüber: „Es geht um die Grenze des Terrors.“
Was meinen sie damit?
Bei den NoG20-Protesten 2017 war die Macht der Herrschenden zeitweise außer Kraft und sie versuchen, mit Prozessen danach Rache und Vergeltung zu nehmen.
Das wird auch deutlich bei dem aktuellen „Elbchaussee-Prozess“ und den kommenden Rondenbarg-Verfahren. Auch der Prozess gegen die 3 von der Parkbank wird von der Klassenjustiz in diesen Zusammenhang gestellt.
Die Werte der Herrschenden können nicht unsere Werte sein.
Grote, der für die „Zeit“ Mensch des Monats ist, steht u. a für rassistische Kontrollen zur vermeintlichen „Bekämpfung der Drogenkriminalität“, Einrichtung eines Flughafenknastes, um Abschiebungen schneller durchführen zu können, Verschärfung des Hamburger Polizeigesetzes, hundertfache Körperverletzung und Festnahmen während der NoG20-Proteste 2017 und anschließende Öffentlichkeitsfahndung .
Unsere Werte sind das nicht, denn wir kämpfen für eine freie Gesellschaft, die auf Solidarität basiert, für alle unterdrückten Menschen, hier und überall auf der Welt.
United we stand! Solidarisch Kämpfen!