An diesem Prozesstag gab es durchgehend einen Grundkonflikt zwischen dem Schöffengericht, der Staatsanwältin(StA) und der Verteidigung:
Das Gericht und die StA sind davon ausgegangen, dass sie alle relevanten Informationen für die Urteilsfindung haben. Sie wollten jetzt nur noch die Jugendgerichtshilfe hören und die Person Fabio V. kennen lernen. Am 27.2.2018 wollten sie das Urteil sprechen. Dieser Termin war gewählt, weil die vorsitzende Richterin dann ihren letzten Arbeitstag vor ihrem Mutterschutz hat.
Die Verteidigung ist davon ausgegangen, dass das Verfahren noch nicht beendet ist, da immer noch nicht zweifelsfrei geklärt ist, was sich am Rondenbarg überhaupt zugetragen hat.
Es gibt erhebliche Zweifel an den Tatsachen, die dem Prozess durch das Gericht und StA zu Grunde gelegt werden. Gericht und auch gehen davon aus, dass ein schwerer Landfriedensbruch angenommen werden muss, weil sich die Menschenmenge (200 Teilnehmende)ihrer Meinung nach nicht auf einer Demonstration befunden hat. Sie setzt damit die Gruppe „Schwarzer-Finger“ gleich mit einer Gruppe von Fußball-Hooligans (BGH-Urteil). Die Verteidigung hingegen geht davon aus, dass sich die „Gruppe-schwarzer-Finger“ auf einer Demonstration befunden hat und eine Teilgruppe einer Gesamtaktion waren. Sie hatten das Ziel, Teilnehmende des G20-Kongresses daran zu behindern, dass diese in Hamburg ihre Zielorte erreichen. Dies wollten sie tun, indem sie sich friedlich auf die Hamburger Straßen setzen wollten, um den G20 zu blockieren. Die Polizei hat die rechtmäßige Demonstration zu keiner Zeit aufgelöst. Die Teilnehmenden hatten faktisch nicht die Möglichkeit sich vom Demonstrationsort zu entfernen, da sie sich in einer Polizeifalle befanden. Sie konnten weder nach vorne, noch nach hinten oder gar zur Seite fliehen. Die Polizei hat die Demonstration zu keiner Zeit vom Volkspark bis in den Rondenbarg verfolgt, so dass die Demonstrierenden überhaupt erkennen konnten, dass Polizei vor Ort war. Sie hat im Industriegebiet-Rondenbarg auf die Gruppe gewartet, ist ohne Ankündigung auf die Demonstration zugelaufen und sie hat in der Gesamtkoordination mit unterschiedlichen Wasserwerfern aus Eutin und Bayern die Demonstrationsteilnehmenden Krankenhausreif geschlagen. Kein Polizist ist bei diesem Einsatz verletzt worden und kein Polizeiauto ist beschädigt worden. Es gab über 70 Festnahmen und mindestens 39 schwer verletzte Menschen. Viele von ihnen sind minderjährig oder knapp an die 20 Jahre jung. Die Polizei hat zum Beweis eines schweren Landfriedensbruchs diverse Gegenstände zusammengesammelt, die vor Ort gefunden wurde. Diese Gegenstände können keiner Person zugeordnet werden. Das Schöffengericht und auch die StA gehen davon aus, dass diese Gegenstände von der Gruppe ins Gebüsch geworfen worden ist. Einen Beleg hat sie dafür nicht. Die Verteidigung bestreitet, dass die gefundenen Gegenstände (Badewanne, Sägen, Hämmerchen, Bauzaunlatten und anderes Bauwerkzeug) überhaupt im Zusammenhang mit der Gruppe zu bringen ist, da sich im Rondenbarg ein großer Bauwagenplatz mit Baustelle befunden hat und es ist naheliegend, dass die Gegenstände der Baufirma gehören.
Die Sitzung beginnt damit, dass die Vorsitzende Richterin Stellungnahmen zu den Beweisanträgen der Verteidigung aus unterschiedlichen Prozesstagen nimmt. Es gibt immer wieder Streit darum, dass das Gericht keine schriftliche Begründung vorlegt. Die Verteidigung hat einen gesetzlichen Anspruch auf Schriftsätze und es gehört zu einem geregelten juristischen Verfahren. Die Richterin ist über diesen Anspruch immer wieder überrascht. Die Staatsanwältin lächelt vor sich hin.
Beweisantrag der Verteidigung vom 1.2.18: Diverse Polizeivideos als Beweis zu zu lassen. Wird nach § 244 V StPo abgelehnt.
Beweisantrag der Verteidigung vom 12.2.18: Beweisvideos der Polizei und die dazugehörige Tonspur in das Beweisprogramm auf zu nehmen wird abgelehnt, weil das Gericht ihnen keine Bedeutung zukommen lässt. – Die Tonspur stützt die Aussage der ver.di Jugend.
Beweisantrag der Verteidigung vom 12.2.18: Sämtliche Personen, die am 7.7.17 verhaftet wurden und sämtlich Verletzte des Rondenbarg als Zeugen zu hören, wird nach § 244 II StGB abgelehnt. (Bisher gab es nur sich widersprechende Polizeiberichte und Polizeiausagen.)
Das Gericht entlässt die Polizeizeugen Thorsten, Kabul und Elvers ohne Vereidigung. Einspruch der Verteidigung. Einspruch abgelehnt.
Die Verteidigung kämpft für ihre Beweisanträge und argumentiert, warum diese für die Feststellung des Sachverhalts notwendig sind. Sie zitiert diverse Zeugenaussagen, Polizeivideos, Polizei-Funks-Sprüche, sowie die Zeugenaussagen der ver.di Jugendgruppe NRW und sie legt Wert darauf, dass es auf dem Weg zur Blockade-Aktion und bis zur Auflösung der Demonstration keinen Beweis dafür gibt, dass es innerhalb der Gruppe einen gemeinsamen Tatplan und/ oder Tatvorgang für Gewaltaktionen gegen die Polizei gegeben hat. Ihr Ziel waren Blockade-Punkte im Hamburger Verkehr, zwecks einer Sitzblockade zur Behinderung der Teilnehmenden am G20 in Hamburg.
Die Richterin lehnt die Beweisanträge der Verteidigung ab, weil diese Tatsachen nicht relevant sind für eine Verurteilung zum schweren Landfriedensbruch. Die beantragten Beweise „sind ohne Bedeutung für den Fall.“
Die Verteidigung spricht im festen und sehr ernstem Ton. Sie ermahnt die Richterin, dass sie in ihrer Rolle und Funktion als Richterin eine Aufklärungspflicht hat. Die abgelehnten (am Rondenbarg festgestellten) Zeugen können ganz unmittelbare Aussagen darüber machen, was sich am Rondenbarg abgespielt hat. Sie können kollektiv bestätigen, welche Absprachen es innerhalb der Gruppen-Aktion gab. Die Verteidigung stellt einen Antrag auf Verschriftlichung des Kommunikationsvorganges (§ 35 Abs. II, Satz 2 StPo). Die Strafprozessordnung gibt der Verteidigung einen Rechtsanspruch auf die Schriftform der gerichtlichen Begründungen.
Das Schöffengericht ist genervt.
Die Verteidigung plädiert weiterhin dafür, dass die Gruppe „Schwarzer-Finger“ ab 6: 45 auf dem Weg zu ihrem Blockade-Stützpunkt war. Die Polizei Zeugen vom letzten Termin bestätigten diese Tatsache! Es ist unbestritten, dass die Gruppe sich auf einer Spontan-Demo befunden hat. Diese ist ausdrücklich über das Versammlungsgesetz(§ 17 Abs. III Versammlungsgesetz) zulässig. Und sie ist von Artikel 8 Grundgesetz gedeckt.
Die Polizei hätte auf sich aufmerksam machen müssen! Sie hätten Durchsagen machen müssen. Sie darf eine Demonstration nicht auflösen, indem sie auf die Demonstrant*innen einprügelt. Die Polizei hat die Pflicht unzweideutig anzukündigen, dass die Versammlung beendet ist und dass alle Anwesenden die Versammlung verlassen müssen. Die Teilnehmenden müssen immer die Möglichkeit erhalten, den Ort verlassen zu können. All dies hat die Polizei nicht getan. Sie hätten zur Beweissicherung eine Personenzuordnung zu den gefundenen Gegenständen machen müssen. Es ist unzulässig, dass die Polizei alles aus dem unmittelbaren Umkreis des Rondenbargs zusammen sammelt und diese Fundstücke nun der Gruppe der Demonstrierenden für einen schweren Landfriedensbruch kollektiv zuschiebt.
Fabio hatte das Recht sich auf einer Demo aufzuhalten. Er hatte nicht die Pflicht sich von der Demo zu entfernen. Selbst wenn er es gewollt hätte, wäre die Flucht nicht gelungen, weil die Demo von der Polizei eingekesselt war. Es gab keine Fluchtmöglichkeit. Die Straße war komplett bestellt mit der Polizei. Die Polizeihandlung ist kausal für das Desaster am Rondenbarg.
Die Verteidigung beantragt erneut, dass Fabio unverzüglich freigesprochen werden muss.
Es folgt eine heftig geführte Debatte zur Auslegung und Bedeutung von Paragraphen, Urteilen und Kommentaren.
Das Schöffengericht möchte jetzt weiter verfahren und Angaben zur Person erfahren, wer die Person Fabio aus Italien ist; was er für ein Mensch ist.
Die Verteidigung interveniert und stellt diverse neue Beweisanträge.
Der Polizeieinsatz muss in der Beweisaufnahme genauer betrachtet werden. Er muss sich am Hamburger Polizei Recht messen lassen. Die Funkberichte in der Abschrift würden beweisen, dass der Polizeieinsatz in Hamburg-Bahrenfeld-Rondenbarg mit mehreren Bundesländern durchgeführt wurde und selbstverständlich gab es eine Rückkopplung zur Einsatzleitung. Der Polizeieinsatz am Rondenbarg war kein „Zufallsfund“. Er war ein geplanter und koordinierter Polizeieinsatz. Dies belegen Polizeiaussagen. Es gab für die Zerschlagung der Demonstration keinen Grund.
Die StA stellt einen Antrag auf Zurückweisung des Antrages der Verteidigung. Der Inhalt des Antrages sei ohne Bedeutung für den hier vorliegenden Fall. § 15 Abs. III Versammlungsrecht sei anzuwenden.
Verteidigung: „Wir sprechen über 14 Steine und 4 Böller. Die Gruppe war nicht gewalttätig. Selbst wenn 14 Teilnehmende von 200 Teilnehmende gewalttätig waren, macht dies nicht die gesamte Gruppe zu Gewalttäter*innen.“
Die StA beruft sich plötzlich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „NJW 2017, Seite 555ff- vom 02.11.2016“. Die Verteidigung recherchiert und sie findet die besagte Entscheidung. Dann ist sie wirklich böse. Es gibt diese Entscheidung nicht! Die besagte Entscheidung hat etwas mit einem Vorprüfungsausschuss zu tun. Es ist keine Entscheidung des BVerfG.
Die Verteidigung beantragt, dass das Gericht feststellt, dass es einen Einsatzbefehl für den Polizeieinsatz am Rondenbarg gegeben haben muss. Dieser muss in die Entscheidung einbezogen werden. Es ist relevant ob der Polizeieinsatz rechtmäßig war oder eben nicht.
Es folgt ein Gerichtsstreit.
Die Verteidigung besteht darauf, dass der Tathergang des Polizeieinsatzes nach wie vor unklar ist. Der gesamte Komplex ist nicht aufgearbeitet. Es ist wesentlich für die Feststellung ob überhaupt ein Landfriedensbruch vorliegt. Die Befehlslage darf nicht ungewürdigt bleiben.
Das Gericht zieht sich für 1 ½ Stunden zur Beratung zurück.
Nach der Beratung ergeht folgender Beschluss: Der Antrag der Verteidigung wird abgelehnt. Für die Entscheidung des Verfahrens ist der Beweisantrag unbedeutend.
Wir hören Funkaufzeichnungen der Polizei.
Die Verteidigung stellt erneut einen Antrag auf Verschriftlichung der Funkprotokolle, damit alle Beteiligten sich auf das Gehörte verständigen können. Alle hören etwas anderes.
Das Schöffengericht nimmt für sich in Anspruch, genug gehört zu haben, um ein Urteil zu fällen.
Die Verteidigung fordert erneut die Schriftform dieser Aussage.
Das Gericht bittet darum, dass sich die Verteidigung mit dem späteren Protokoll begnügt. Die Verteidigung besteht auf ihr Recht. Sie stellt erneut den Antrag, dass protokolliert wird, dass die nicht schriftliche Begründung dazu führt, dass sie sich nicht ausreichend einer rechtlichen Würdigung der Einwände des Gerichtes unterziehen kann. Die Verteidigung beruft sich darauf, dass dieser Anspruch seit einer Reichsgerichtsentscheidung von 1910 zum fairen Verfahren dazu gehört. Um einen angemessenen Einspruch verfassen zu können, braucht die Verteidigung den entsprechenden Schriftsatz. Es ist eine Frage des rechtlich qualitativen Gehörs.
Die Richterin bittet nochmals eindringlich darum, auf den Schriftsatz zu verzichten.
Antwort der Verteidigung: „ Das mündliche Wort ist flüchtig.“
Die Richterin ordnet an, dass es nicht schriftlich verfassen muss. Die StA unterstützt den Antrag des Schöffengerichts.
Das Gericht zieht sich zum Verfassen des Gerichtsbeschlusses zurück. Der gesamte Schriftsatz wird zum nächsten Verfahrenstag verfasst.
Die Verteidigung stellt diverse Anträge als Beweisantrag. Insbesondere zum Polizeieinsatz.
Die StA stellt den Antrag, dass es keine koordinierte Polizeihandlung am Rondenbar gegeben hat. Insbesondere nicht zwischen dem Einsatz der schlagenden BFE Blumberg und dem Einsatz der Wasserwerfer am Ende der Versammlung. Der Polizeieinsatz erfolgte spontan. Das sei alles dem Gericht bekannt.
Es folgt eine lange Debatte über die Bedeutung von Polizeifunkaufzeichnungen und warum diese in den Prozess einbezogen werden müssen.
Gucken von Polizeivideos. Der Verteidigung fällt auf, dass die Videos eine andere Uhrzeit zeigen, als die Videos in ihrer Akte. Es geht um eine Stunde. Polizeieinsatz: 7.11 Uhr oder 8.11 Uhr? Es scheint unterschiedliches Videomaterial im Umlauf zu sein. Um 6: 27 hat einer der BFE Blumberg die Meldung gemacht, dass die Polizei auf dem Parkplatz am Rondenbarg wartet. 3-4 Einheiten warteten laut dieser Polizeiaussage auf die Gruppe.
Die Verteidigung beantragt erneut zur Beweisaufnahme die Vernehmung des Einsatzabschnittsleiters. Es folgt ein Konflikt über diesen Beweisantrag zwischen dem Schöffengericht, der StA und Verteidigung. StA und Gericht möchten keine weiteren Beweisanträge mehr zulassen. Die StA legt Wert darauf, dass die Beweislage unbedeutend für die Verurteilung ist.
Das Gericht hätte jetzt gerne alle Beweisanträge gebündelt. Verteidigung lehnt ab, weil sie dies aus fachlichen Notwendigkeiten davon abhängig machen muss, wie das Gericht sich jetzt weiter verhält.
Beratungszeit und Mittagszeit 11.20 Uhr bis 13:45 Uhr
Nach der Mittagspause geht es weiter im Streit um die sogenannten Tatsachen und Beweisanträge.
Das Gericht erlässt folgenden Beschluss: Das Gericht sieht es als bewiesen an, dass es keine Funkprotokolle gibt. Nachweislich ist keine Bushaltestelle komplett kaputt gegangen. Eine Bushaltestelle wurde leicht beschädigt. Es gab am Rondenbarg Würfe mit Steinen und Böller auf die Polizeiautos, so wurde es gehört. Die Autos und Polizei wurden nicht beschädigt.
Der Zuhörerraum lacht. Die Funkprotokolle müssen nicht in das Verfahren einbezogen werden, weil es dem Gericht genügt die nachträglich verfassten Berichte der Soko-Schwarzer-Block zu würdigen.
Verteidigung stellt den Antrag auf Funkprotokolle und an die Herausgabe der Originale an das Gericht. Der Sonderausschuss hält sie unter Verschluss. Das Gericht möge die Herausgabe beantragen und der Inhalt der Protokolle müsse verglichen werden.
Die Verteidigung stellt weitere Beweisanträge. Die StA beantragt diese Beweisanträge abzuweisen.
Es wird darüber gestritten, welche „Tatsachen“ als Beweis gültig sind. Es wird darüber gestritten, wer wann, was wie warum gehört oder verstanden hat.
Die Verteidigung ist empört, weil Fabio 4,5 Monate in Haft verbracht hat, weil ihm vorgeworfen wird, dass er mit 200 schwer bewaffneten Leuten vom Volkspark in den Rondenbarg gelaufen sei. Er und die Gruppe hätten Sägen, Hämmer, Steine, Badewanne, Baumaterial und Böller dabei gehabt. Fabio war inhaftiert, weil ihm unterstellt wurde, dass er die Hamburger Innenstadt stürmen wollte. Die Originalprotokolle des Einsatzes könnten hier Aufklärung geben.
Es wird erneut die Tonspur gehört. Alle verstehen etwas anders.
StA und Verteidigung stellen erneute Beweisanträge.
Das Gericht bittet um Bündelung aller Anträge. Dieser Bitte wird nicht entsprochen, weil jedes Detail wichtig sein kann.
Pause: Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.
Ergebnis: Petereit als Zeuge wird abgelehnt. Die Feststellung der Tatsache, dass Personen und Sachen zu Schaden gekommen sind, ist für die Tatbestandsvollendung des schweren Landfriedensbruchs unerheblich. Auf eine echte Gefährdung oder Verletzung komme es nicht an.
Verteidigung beantragt die Verschriftlichung des Beschlusses.
Das Verfahren geht am 27.02.2018, um 9.00 Uhr im Amtsgericht Altona weiter.