(sehr) Ausführlicher Bericht vom 14. G20 Prozess am Mittwoch, 04.10.2017

Der 14. Prozess gegen einen italienischen NoG20-Aktivisten fand vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Altona statt und endete mit einem Urteil von 1 Jahr und 6 Monaten auf Bewährung mit einer Bewährungszeit von 3 Jahren.
Des Weiteren sind 1000 Euro Geldstrafe zu zahlen. Dem Angeklagten wurde noch im Saal DNA entnommen.

Die Anklage lautete schwerer Landfriedensbruch (§125a),versuchte gefährliche Körperverletzung (§224) und tätlicher Angriff (§114) am Abend des 7. Juli. Konkret soll es sich um zwei Flaschenwürfe gegen Polizeibeamte gehandelt haben, die der Beschuldigte aus einer vermummten Menge heraus geworfen haben soll. Dabei sei eine 0,5 Liter Flasche am Helm eines Beamten zerschellt. Die andere, in der Größe nicht näher identifizierte Flasche, soll im Brustbereich eines weiteren Beamten abgeprallt sein. Einziger Zeuge der angeblichen Taten des Angeklagten ist der zivile Tatbeobachter (TABO) Jonas Goller, Angehöriger der 15. Polizeihundertschaft des USK Nürnberg (USK = Unterstützungskommando, Aufgaben wie BFE).
Im Rucksack des Angeklagten sollen sich eine Taucherbrille, eine Gasmaske, 2 Tücher und eine Wendejacke befunden haben.

Die Verteidigung (Eder/Beisenherz) erklärte, ihr Mandant wird keine Aussage zur Sache machen, aber zwei Erklärungen zu seiner beruflichen und familiären Situation sowie zu seiner politischen Tätigkeit verlesen.

Der Angeklagte verlas, dass er nach seinem Abitur Landwirtschaft in Palermo studierte, seine Familie hat einen Landwirtschaftsbetrieb, der mit Tomaten gehandelt hat. Doch die Erträge seien sehr niedrig gewesen und die Schulden hoch. Daher regte er an, dass der Familienbetrieb neue Wege gehen müsse und hat sich mit der Zucht von Bohnen beschäftigt. Er entschied, den Anbau auf Stangenbohnen umzustellen und entwickelte eine innovative Technik, für eine effektive Zucht und ein besseres Produkt. Ihm gelang die Produktion zu verdoppeln und gleichzeitig die Kosten zu senken. Der Betrieb wurde schuldenfrei und in die Lage gekommen, 30 Arbeiter*innen mit festem Einkommen das ganze Jahr zu beschäftigen und nicht nur als Saisonkräfte für die Erntezeit. Da er eine leitende Funktion im Personalmanagment, im Vertrieb auf den Märkten Norditaliens und in der Buchhaltung inne hat, ist seine Familie und der Betrieb durch seine Abwesenheit während der langen U-Haft in Schwierigkeiten geraten. Er sei im Betrieb unentbehrlich und ohne ihn ein Fortkommen des Betriebs und eine Sicherung der Gehälter der Angestellten nicht möglich. Zudem will er privat vorankommen, er plant seine Verlobte zu heiraten und will sein Haus weiterbauen.

Für die Verlesung der zweiten Erklärung wendete der Angeklagte sich während der ersten Sätze Richter Bischof und Staatsanwalt Mittenzwei zu:
„Ich bin stolz auf meine politische Einstellung. Ich bin Antifaschist – und ich bin Kommunist.“
Antifaschist, weil es die Geschichte gebietet. Er verwies auf die italienischen Partisan*innen und ihren Kampf gegen die Nazis. Darüber ist er Kommunist, weil er an soziale Gerechtigkeit glaubt und sich nicht damit abfinden will, dass 20% der Weltbevölkerung mehr als 80% des weltweiten Reichtums besitzen. Der Angeklagte ist Mitglied der Kommunistischen Europäischen Linken in Italien, seit er 16 Jahre alt ist. Er hat Ämter auf Kreis und kommunaler Ebene inne. Seine Partei habe eine lange Geschichte im Kampf gegen die Mafia, für den Umweltschutz und für soziale Gerechtigkeit. Er wohnt in einer kleinen Stadt mit 35.000 Einwohner*innen, es gibt große Arbeitslosigkeit, Krisen, Probleme mit der Mafia, eine schlechte Politik und Korruption.
Durch ungesunde Industrie, eine riesen Verbrennungsanlage, sei die Krebsrate hoch. Seine Partei kämpft gegen die Mafia und deren Schutzgelderpressungen und ist bei Verfahren gegen die Cosa Nostra als Nebenklägerin aufgetreten. Sie organisiert zudem Veranstaltungen, um Opfer der Mafia zu unterstützen und bei Jugendlichen ein Bewusstsein gegen die Mafia zu fördern. So haben sie erreicht, dass widerrechtlich errichtete örtliche Immobilien der Mafia abgebaut wurden. Außerdem werden Veranstaltungen im Gedenken an durch die Mafia Ermordete organisiert, unter diesen Ermordeten seien – hier blickt der Angeklagte wieder nach vorn zum Gericht – auch viele Staatsanwälte und Richter gewesen. An den von ihnen organisierten Debatten seien regelmäßig Staatsanwälte und Richter im Kampf gegen die Mafia beteiligt. Darüber hinaus hat er geholfen, eine Volksbibliothek aufzubauen, die auch als Treffpunkt in der Region dient, da der Staat sich um so etwas nicht kümmere. Dort bieten sie kostenlose Nachhilfe für Schüler*innen an und veranstalteten Lesungen. Er und seine Partei engagieren sich auch in Gewerkschaftsfragen und unterstützen Lohnabhängige, insbesondere Migrant*innen, Zeitarbeiter*innen und andere prekär Beschäftigte. Des Weiteren organisiert er Sammlungen und Lieferungen von Hilfsgütern in Regionen, die von Umweltkatastrophen betroffen sind. Der Angeklagte betont zudem sein Engagement gegen Rassismus, welches heute noch einmal wichtiger ist, angesichts des Erstarkens rechter Kräfte. Besonders bedeutsam ist für ihn auch die jährliche Ausrichtung der Feier anlässlich des 25. Aprils (Befreiung Italiens von der Besatzung durch Nazi-Deutschland) in Gedenken an die Partisan*innen. „Ohne Antifaschismus könnte weder Italien noch Europa existieren!“ Er schloss mit dem Hinweis, dass er in seinem Kampf gegen Faschismus, gegen Korruption und für Umweltschutz bereits viele persönliche und wirtschaftliche Opfer gebracht hat.

Vor dem Aufrufen des Zeugen Goller erklärte der Richter, dass jener nur eine eingeschränkte Aussagegenehmigung erhalten hat, da es sich um einen zivilen Tatbeobachter (TABO) handele. Dies hieße, er dürfe keine Aussagen zu seinem Aussehen, innerpolizeilichen Dingen; zu Technischem,Taktik und Vorgehen; Namen; Ausrüstung; zur Identität verdeckter Ermittler und zur Zusammenarbeit mit weiteren Behörden machen. Zudem wurde in der Aussagegehmigung eine Teilsperrerklärung ausgesprochen und der Zeuge müsse, um Enttarnungen zu verhindern, sich maskenbildnerischen Maßnahmen unterziehen.

Das Aufrufen des Zeugen verschob sich, da die Verteidigung zuvor zwei Widersprüche verlas. Es wurde Widerspruch gegen die Verwertung der Aussage des zivilen Tatbeobachters Jonas Goller eingelegt. Die Verteidigung führte aus, TABO bewegen sich unerkannt als Teil einer Gruppe und greifen bei Straftaten nicht ein. Der Einsatz ziviler TABO sei oftmals mit dem Begehen von Straftaten durch die späteren Zeugen selbst verbunden. Damit sei ein Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot der Aussage gegeben. Zur Klärung dieses Sachverhalts wurde gefordert, Herrn Stresow (Koordinator der TABO u.a.beim CASTOR), Herrn Klingfort (Einsatzleiter CASTOR) und Herrn Dudde (Polizei-Einsatzleiter G20) als Zeugen vorzuladen, um zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von zivilen Tatbeobachtern auszusagen.
Im zweiten Widerspruch wurde sich gegen die Veränderung der äußeren Erscheinung des Zeugen Goller ausgesprochen.

Zum ersten Widerspruch erklärte die Verteidigung, der Einsatz von TABO bedürfe einer Spezialermächtigung, es gibt keine Ermächtigungsnorm/-grundlage für ihren Einsatz. Aufgrund der Heimlichkeit ihres Einsatzes sind nur geringe Strafschutzmöglichkeiten des Angeklagten gegeben. Ihr Einsatz ist auch nicht mit dem eines Verdeckten Ermittlers vergleichbar, da sie nur kurzfristig im Einsatz sind. §163 (Aufgaben der Polizei im Ermittlungsverfahren) legitimiert den Einsatz der TABO auch nicht. Polizeibeamte sind zum Einschreiten bei Straftaten verpflichtet, TABO verstoßen dagegen. Somit verstößt ihr Einsatz gegen das Legalitätsprinzip (Grundsatz, wonach die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, wegen aller verfolgbaren Straftaten zu ermitteln, sofern ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen). Die Verteidigung führte weiterhin aus, TABO werden in rechtlich fragwürdige Situationen entsandt, ein vorheriger Kontakt mit der Staatsanwaltschaft findet auch nicht statt, womit wiederum gegen das Legalitätsprinzip verstoßen wird, da der TABO entscheide, was Anhaltspunkte für Straftaten sind und wo ermittelt wird und nicht wie vorgesehen die Staatsanwaltschaft. Insgesamt ist die Schaffung der BFE eine reine Exekutiventscheidung gewesen und nicht eine der Legislative. Das eigenmächtige Entscheiden der TABO ist nicht vereinbar mit den rechtmäßigen Aufgaben der Polizei und das Legalitätsprinzip wird zurückgestellt zugunsten eines hypothetischen Verlaufs einer Situation. Hierzu erfolgte der Antrag, Herrn Dudde als Zeugen zu laden, da er zuständig war für den rechtmäßigen Einsatz der Polizeikräfte während G20 und sicherlich aufklären könne, welche Zuständigkeiten bayrische Einsatzkräfte in Hamburg besäßen.

Zum zweiten Widerspruch erläuterte die Verteidigung, dass eine optische Verfremdung eines Zeugen nur im Rahmen von Sperrerklärungen rechtmäßig ist, eine solche liegt aber nicht vor. Die Anonymisierung von Zeugen ist zudem nur unter strengen Bedingungen zulässig, Zeugen sollten sichtbar sein. Bei Polizeibeamten ist eine Maskierung vor Gericht nur bei Vorliegen einer konkreten Bedrohung ihrer Person zulässig, da es generell zu ihren Aufgaben gehört, Zeuge zu sein. Eine persönliche Gefährdung des Zeugen Goller liegt aber nicht vor. Wenn er dennoch maskiert aufträte, handele es sich bei ihm wohl eher um einen Verdeckten Ermittler und nicht um einen TABO. Da der Zeuge in seinem Bericht behauptet hat, so dicht am Angeklagten dran gewesen zu sein, dass er ihn „ausländisch“ habe sprechen hören, ist es doch möglich, dass der Angeklagte ihn wiedererkennt oder er auf Videomaterial zu erkennen ist. Da Herr Goller nach Aktenlage einziger Tatzeuge ist, ist seine Aussage entscheidend und durch Unkenntlichmachung seiner Person nicht verwertbar.

Staatsanwalt Mittenzwei forderte, die Widersprüche zurückzuweisen. Der Einsatz der TABO sei rechtlich gedeckt, da kein wesentlicher Grundrechtseingriff vorliege. Die bloße Beobachtung einer Versammlung sei kein Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit. Darüber hinaus decke die Ermittlungsgeneralklausel eine kurzfristige, anlassbezogene Observation eines Tatverdächtigen ein. Die Polizei dürfe arbeitsteilig einzelne Beamte mit einer Beobachtung beauftragen, dies sei kein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip. Eine Vorladung der Herren Dudde, Klingfort und Stresow lehne er ab. Zum zweiten Widerspruch erklärte der Staatsanwalt, Grundlage der Verfremdung des Zeugen Goller sei keine Sperrerklärung, sondern die eingeschränkte Aussagegenehmigung. Diese decke die Durchführung der Maskierung, da die Person und die zukünftige dienstliche Tätigkeit des Zeugen gefährdet sei, wenn seine Identität erkennbar würde.

Das Gericht zog sich zur Entscheidung über die Widersprüche zurück und verkündete nach der Mittagspause seine Beschlüsse: Die Verwendung des Zeugen sei zulässig, da durch seinen Einsatz nicht in Grundrechte eingegriffen wurde. Eine Demonstration sei eine öffentliche Veranstaltung, Teilnehmer müssten damit rechnen, gesehen zu werden. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten seien in der Öffentlichkeit begangen worden. Zur Verfremdung des Zeugen entschied das Gericht, die Maskierung sei auch unter einer Teilsperrerklärung rechtmäßig, da bei Einsatz in einer gewaltbereiten Szene die Identität des Herrn Goller zu schützen sei.

Der Zeuge Goller (27 Jahre, USK Nürnberg) wurde aufgerufen und betrat mit falschem Bart, Vokuhila-Perücke und großer Brille mit dickem schwazem Rand den Saal. Der Richter wies ihn protokollgemäß auf seine Pflicht hin, die Wahrheit zu sagen und fügte hinzu „Sie sind der einzige Zeuge. Sie sind sich darüber bewusst, dass Ihre Aussage entscheidend ist.“ Auf Nachfrage, warum er verfremdet auftritt, erklärte der Zeuge, dass der Polizeipräsident Bayerns die Verfremdung verfügt und genehmigt habe, da er als ziviler Beamter in gewaltbereiten Szenen eingesetzt werde und man eine Nachstellung im privaten Bereich verhindern wolle. Er werde auch zukünftig als TABO eingesetzt werden. Seinen Auftrag zum Einsatz beim G20 habe er von übergeordneter Stelle erhalten und seine Einheit sei von Hamburg angefordert worden. Der Richter fragte, ob der Zeuge sich an die Geschehnisse am Abend des 7. Juli erinnern könne. Der Zeuge erwiderte, er habe sich vor seinem Auftritt vor Gericht noch einmal seinen Bericht durchgelesen. Die Geschehnisse schilderte er dann wie folgt: Zu Beginn habe sich vor der Roten Flora ein „großer, schwarzer Mob“ von ca. 500 Personen versammelt, die einen gewaltbereiten Eindruck machten. Gewalt sei zu erwarten gewesen, Polizeiketten seien beworfen und Barrikaden gebaut worden, es habe so große Ausschreitungen gegeben, wie er sie selbst noch nie erlebt habe. Es sei dann eine Räumung des Schulterblattes Richtung Max-Brauer-Straße durch die Polizei begonnen worden. Es seien massiv Steine und Flaschen geworfen worden und die Masse habe sich verteilt. Ein großer Teil, mindestens 200 bis 300 Personen, sei in den Florapark gelaufen. Die Personen seien vermummt und schwarz gekleidet gewesen, er habe einen „schwarzen Mob“ gesehen, der Steine und Flaschen gehortet und geworfen habe. Dann habe er eine Person gesehen, die eine vermutlich grüne Glasflasche am Flaschenhals in der Hand trug. Als die Polizei vor einem Zaun stoppte, habe die Person Anlauf genommen und die Flasche mit der rechten Hand geradlinig in Richtung der Beamten geworfen. Die Flasche sei am Helm eines Beamten zerschellt. Der Werfer habe ersichtlich gezielt geworfen, um die Einsatzkräfte zu treffen. Es habe sich vermutlich um Kräfte der Bundespolizei Blumberg gehandelt.
Der Richter forderte den Zeugen auf, den Wurf nachzustellen, was dieser tat.
Goller erläuterte, er habe sich auf diesen Tatverdächtigen konzentriert, obwohl auch weitere Gegenstände geflogen seien. Die Person sei nach ihrem Wurf nach hinten in Richtung Lippmannstraße gerannt und sei mit Tuch und Kapuzenpulli vermummt gewesen. Die Person schien dann nach etwas zu suchen und habe eine weitere Flasche aufgenommen, die sie eine Weile in der Hand gehalten habe. Dann habe der Tatverdächtige erneut Anlauf genommen und die zweite Flasche geworfen. Die Flasche habe einen Polizeibeamten am Oberkörper im Brustbereich getroffen. Die Tat sei hinterlistig aus einer Menge heraus geschehen und der Tatverdächtige habe Beamte damit treffen wollen. Die Person sei dann gemächlich zur Lippmannstraße aus dem Park rausgegangen, habe sich entmummt und sei etwas planlos umher gelaufen. Sie sei dann von einer uniformierten Einheit festgenommen worden. Der Zeuge behauptete, er habe die Person nie aus den Augen verloren und es sei die richtige Person festgenommen worden. Auf Nachfrage des Richters bestätigte der Zeuge, es habe sich bei der ersten Flasche um eine vermutlich grüne 0,5 Liter Glasflasche gehandelt, bei der zweiten sei er nicht sicher, welche Farbe und ob es sich um 0,5 oder 0,33 Liter handelte, beide seien aber aus Glas gewesen. Die zweite Flasche sei seitlich geworfen worden und nicht zerschellt, sondern abgeprallt. Der Richter forderte den Zeugen auf, auch den zweiten Wurf nachzustellen, was dieser erneut tat.
Der Zeuge gab den Tatzeitraum in seinem Bericht mit 19:15 bis 20 Uhr an. Er erklärte, er habe bei den Würfen auf die Uhr gesehen und ansonsten die Zeiten geschätzt. Der erste Wurf sei kurz vor 19:28 Uhr erfolgt, 19.32 Uhr der zweite Wurf. Gegen 19:25 Uhr habe er sich noch vor der Flora befunden, in der Masse, die er als sehr gewaltbereit wahrgenommen habe und sei mit in den Florapark gelaufen.
Die von ihm beobachtete Person sei dunkel gekleidet und vermummt gewesen, habe einen dunklen Rucksack getragen und schwarze Schuhe mit weißer Sohle, die Marke habe er nicht erkannt. Die Person habe sich kurz unterhalten, nicht auf Deutsch, vielleicht auf Spanisch oder Italienisch, aber das sei nur eine Vermutung, da er dieser Sprachen nicht mächtig sei. Die Personen im Florapark seien alle dunkel gekleidet und vermummt gewesen, er habe keine „Bürger“ dort gesehen. Alle seien optisch ähnlich gewesen, auch habe er erst das Geschlecht seiner Zielperson nicht erkennen können, auch, da er größtenteils hinter der Person war. Erst bei Abnahme der Vermummung habe er erkannt, dass es sich um einen Mann handelte. Der erste Wurf sei aus der geschlossenen Masse heraus erfolgt, aber der Tatverdächtige habe sich eher an der Seite befunden. Aus dem Augenwinkel habe er weitere Würfe gesehen, sich aber auf den Tatverdächtigen konzentriert. Zum Zeitpunkt des zweiten Wurfes habe es eine kurzzeitige Beruhigung der Situation gegeben, aber es kam immer wieder zu Würfen und die Polizeikräfte seien am Zurückweichen gewesen. Der Verdächtige habe aus einer Gruppe von 20-30 Personen heraus geworfen, alle seien vermummt und dunkel gekleidet gewesen. Anschließend sei die Person im „Vollsprint“ vor der Polizei weg gelaufen, er selbst sei mitgelaufen und der Person gefolgt. Er habe immer freie Sicht auf die Person gehabt bis zum Rückzug zur Lippmannstraße. Auf die Nachfrage, warum er eingangs berichtet habe, die Person habe den Park „gemächlich“ verlassen, erklärte der Zeuge, er könne sich nicht mehr erinnern, wie es nun genau gewesen sei.
Die Frage, wie dann die Festnahme koordiniert worden sei, beantwortete Goller mit dem Hinweis, hierzu habe er keine Aussagegenehmigung. Aber er sei sich sicher, es sei die richtige Person festgenommen worden. Beim ersten Wurf sei er etwa 5 Meter entfernt gewesen, beim zweiten Wurf 15 Meter. In der ersten Situation habe er gesehen, wie der Beamte versucht habe, die Flasche mit dem Schlagstock abzuwehren, in der zweiten Situation sei keinerlei Reaktion erkennbar gewesen. Der Richter fragte daraufhin, ob es Reaktionen der anderen Beteiligten gegeben habe, der Zeuge sagte aus, die Anderen hätten ebenfalls geworfen und konzentrierten sich auf die Polizei, der Wurf des Tatverdächtigen sei vermutlich nicht besonders wahrgenommen worden.
Warum er sich den Tatverdächtigen als Zielperson ausgesucht habe, erklärte Goller damit, dass dieser die erste Person gewesen sei, die ihm aufgefallen sei, da er eine Flasche in der Hand gehalten habe. Er bestätigte, die Festnahme beobachtet zu haben und später keine ED Bilder des Festgenommenen gesehen zu haben.
Auf Nachfrage zur Situation vor der Flora beschrieb Goller einen Mob, Gegenstände werfend und Barrikaden bauend, die Polizei habe sich mal rennend genähert, mal abgestoppt. Der Richter stellte fest, dass sich eine solche Situation, wie die geschilderte, auf dem Videomaterial aber nicht finden ließe.
Es wurden drei Videos abgespielt, für Zuschauer*innen war lediglich der Ton wahrzunehmen. Der Zeuge wurde aufgefordert, bei Wiedererkennen einer Situation Bescheid zu geben. Er erkannte besagte Einheit aus Blumberg, sonst nichts. Es sei eine sehr angespannte Situation gewesen und er habe einen anderen Blickwinkel gehabt, als die Kamera.

Im Anschluss befragte die Verteidigung den Zeugen. Sie fragte, als der Zeuge angab, „mitzumischen“ um nicht aufzufallen, wie man sich dieses Mitmischen denn vorzustellen habe? Goller sagte, er sei in ziviler Kleidung eingesetzt und halte sich in der Masse auf, zu Details habe er keine Aussagegenehmigung. Die Verteidigung stellte fest, dass die Videos deutlich weniger als 200 Personen im Park zeigten und auch „Bürger“ die in zum Teil heller Kleidung als Zuschauer auf Hügeln saßen. Der Zeuge verwies auf seine Wahrnehmung, dass es um die 200 Personen gewesen seien und er immer nur einen „schwarzen Mob“ gesehen habe. Die Verteidigung wollte wissen, wieviel Zeit bis zur Festnahme vergangen sei, wo der Zeuge hin und her lief und wie oft. Der Zeuge gab den Zeitraum mit ca. 30 Minuten an, zum genauen Ablauf dürfe er aber nichts sagen, wo genau er war und wo er lang gelaufen sei, das sei Taktik und dazu habe er keine Aussagegenehmigung. Er habe die Person aber nie aus den Augen verloren. Auch die Frage, wie er es beim Sprint geschafft habe, die Person nicht zu verlieren, beantwortete er ausweichend, er sei mitgesprintet, habe die Person im Auge behalten, wie er dies gemacht habe, dürfe er aber nicht sagen. Was er von der Person nach der Entmummung wahrgenommen habe, beschrieb der Zeuge so, dass er nichts Markantes wahrgenommen habe, dunkle kurze Haare, aber er habe sich das Gesicht eingeprägt. Auf Nachfrage beschrieb er noch, wie die Person nach Verlassen des Parks hin und her gelaufen sei, verwies aber darauf, dass er nach drei Monaten keine genaue Erinnerung mehr habe. Ob er nach der Situation zum Hergang vernommen worden sei, verneinte der Zeuge, er habe lediglich in der Gesa seinen Vermerk niedergeschrieben. Die Verteidigung fragte noch einmal nach, ob niemand gefragt habe, wie alles genau abgelaufen sei, ob er auch nicht nach dem Aussehen der Person gefragt worden sei und ob er es selbst nicht für nötig gehalten habe, dazu etwas schriftlich festzuhalten. Zeuge: „Hab ich vergessen.“ Die Frage, ob er länger im Einsatz gewesen sei, bejahte Goller, ob er dabei allein unterwegs gewesen sei, ließ er offen mit Verweis auf die fehlende Aussagegenehmigung hierzu. Auch die Frage, wie die Weitergabe der Infos zur Festnahme erfolgte, wurde mit „Hierzu habe ich keine Aussagegenehmigung“ (nicht) beantwortet. Die Verteidigung wollte noch wissen, wie er herausgefunden habe, dass es sich um eine Einheit aus Blumberg gehandelt habe, die dort im Florapark agierte. Der Zeuge sagte aus, sein Kommandooberführer Buschholt habe eine Anfrage gestellt.

Da der Angeklagte vor Gericht zeitweilig eine Brille trug, warf der Richter ein, ob der Tatverdächtige an dem Abend eine Brille getragen habe? Und ob der Zeuge ihn erkennen würde? Goller behauptete ihn zu erkennen, ob er eine Brille getragen habe, wisse er jedoch nicht mehr.
Von der Verteidigung wurde er gefragt, ob er die Haare der entmummten Person beschreiben könne, kurz, lang, lockig? Zeuge: „Kann mich nach der Zeit nicht mehr erinnern.“
Es gab keine weiteren Fragen und Goller wurde als Zeuge entlassen.

Der Richter verlas sodann einen Vermerk zu den durch die Flaschenwürfe Geschädigten: Geschädigte konnten nicht ermittelt werden.
Die Verteidigung merkte an, durch die eingeschränkte Aussagegenehmigung sind wesentliche Rechte der Verteidigung eingeschränkt worden,offensichtlich konnte nicht wirklich nachvollziehbar nachgefragt werden, der Hergang konnte nicht rekonstruiert werden. Die Aussage hat nahezu keinen Beweiswert, wenn die Rechte der Verteidigung massiv eingeschränkt würden.

Es wurde der zweite Zeuge, Henry Peter (27 Jahre, BFE Schleswig-Holstein), aufgerufen.
Er sagte aus, seine Einheit sei an der Stresemannstraße/Ecke Pferdemarkt eingesetzt gewesen, als sie per Funk den Auftrag erhielten, eine Zielperson festzunehmen. Erst habe es Ungereimtheiten gegeben, es seien zwei Personen festgenommen und beide wieder frei gelassen worden. Dies sei aber nicht im Bericht vermerkt worden. Am PK 16 (Polizeikommissariat an der Lerchenstraße, „Lerchenwache“) sei es zur Festnahme des Verdächtigen gekommen, dieser habe keinen Widerstand geleistet und habe kein Deutsch sprechen können, Englisch nur gebrochen. An der Person selbst habe er nichts Verdächtiges gefunden, im Rucksack seien die im Protokoll gelisteten Dinge gefunden worden, er selbst habe diesen aber nicht durchsucht. Die Rechtsbehilsbelehrung sei „nicht allzu erfolgreich“ gewesen, aufgrund der Sprachbarriere. Er habe keine Erinnerung an die Kleidung des Festgenommenen und an Infos die für die Festnahme übermittelt wurden. Er dürfe auch nichts sagen zu Details.
Nachdem die Person wieder laufen gelassen wurde, habe man erfahren, dass es doch die richtige war und die Person wurde erneut festgenommen. Der Richter fragte, ob er eine Bestätigung bekommen habe, dass es doch die richtige Person gewesen sei? Der Zeuge bestätigte, ja, dies sei per Funk über den Vorgesetzten des TABO geschehen. Er habe die Zielperson nach dem Laufenlassen kurz aus den Augen verloren, aber „einwandfrei“ wiedererkannt. Die Person habe ein bordeauxrotes Oberteil getragen, südländisch ausgesehen, einen Dreitagebart getragen und sei mit ca. 25 „in meinem Alter“ gewesen. Der Richter legte Bilder der ED-Behandlung vor, der Zeuge erkannte den Angeklagten als den Mann, den er festgenommen hatte. Der Mann sei auch bei der zweiten Festnahme friedlich gewesen, habe keinen Widerstand geleistet, sei ruhig geblieben und habe nicht betrunken gewirkt. Der Richter fragte, ob die Festnahme abgeglichen wurde, dass es jetzt der Richtige sei und auch derselbe aus der ersten Festnahme und was der Zeuge von der Tat wusste. Herr Peter antwortete, er habe die Info „Flaschenwurf auf Polizisten gehabt“, „keine markanten Dinge“. Die Frage des Richters, wie lange er zu der Zeit im Dienst gewesen sei, konnte der Zeuge zunächst nicht beantworten, da er nicht erinnerte, zu welcher Zeit die Festnahme stattgefunden hatte. Nach Klärung der Uhrzeit aus dem Festnahmebericht (19.55 Uhr) erklärte er, da seit etwa 30 Stunden im Einsatz gewesen zu sein. Ob die irrtümliche Festnahme auch dokumentiert worden sei, verneinte der Zeuge.
Die Verteidigung fragte, ob denn der TABO mitbekommen habe, dass es zunächst zwei Festnahmen gab? Dies wurde vom Zeugen bestätigt. Die andere Person könne er aber nicht genauer beschreiben, er sei ein paar Meter weg gewesen.
Die Frage, ob er weitere Infos außer „Flaschenwürfe“ gehabt habe, beantwortet der Zeuge mit „2 Flaschen“. Die Verteidigung hält fest, dass der Bericht der Festnahme zwei Flaschenwürfe erwähnt, wovon laut dieses Berichts aber nur eine Flasche getroffen habe.

Der dritte Zeuge, Frederick Oellrich (24 Jahre, BFE-Beamter aus Eutin), wurde aufgerufen.
Er berichtete, man habe über Funk den Auftrag erhalten, eine männliche Person festzunehmen, die mit Flaschen geworfen habe. Seine Einheit habe die Person erkannt und angesprochen, aber es habe ein Missverständnis gegeben und die Person sei wieder freigelassen worden. Nach Klärung des Missverständnisses habe man zu zweit die Person in der Lerchenstraße verfolgt, wieder angesprochen und mit „leichtem Beugehebel“ zum Transporter gebracht. Die Ansprache sei erst auf Deutsch, dann auf Englisch erfolgt, aber die Person verstand kaum etwas.
Dass man wieder erst auf Deutsch mit ihm sprach, obwohl man von der ersten Festnahme schon gewusst habe, dass er es nicht versteht, sei der Routine geschuldet gewesen. Er sei definitiv sicher, dass es dieselbe Person gewesen sei. Beim ersten mal habe man ihn nur wieder gehen lassen, weil beide Festnahmegruppen die Info bekamen, es sei der falsche und beide ließen die Personen wieder gehen. Die freigelassene Person sei dann ganz normal weg gegangen und bei erneuter Festnahme sehr ruhig und fast abwesend gewesen, Alkohol habe der Zeuge nicht feststellen können.
Er habe an der Person nichts Auffälliges gefunden, den Rucksack habe er nicht selbst durchsucht.
Verteidigung und Staatsanwalt hatten keine Fragen an den Zeugen.

Die vierte Zeugin, Julia Mahnken (40 Jahre, Hauptkommissarin am LKA 142), wurde aufgerufen.
Sie schildert, sie habe den Sachverhalt vorgelegt bekommen, die Aussage des „Kollegen Goller“ und habe sich eingelesen. Der Sachverhalt sei Gewalt gegen Polizeibeamte aus einer vermummten Gruppe heraus. Man habe eine Anfrage in Italien gestellt, ob Erkenntnisse über den Angeklagten vorlägen. Der Angeklagte habe um ein Telefongespräch gebeten, um einen Anwalt anzurufen. Da ausländische Nummern vom betreffenden Amtstelefon nicht möglich waren, habe man ihm erlaubt, sein Handy und seine Powerbank zurück zu erhalten. Er habe dann ein Telefongespräch geführt, dessen Inhalt sie nicht wiedergeben könne, da es auf italienisch gewesen sei. Die Liste der persönlichen Gegenstände könne ihrem Bericht entnommen werden. Bei den persönlichen Gegenständen des Angeklagten haben sich laut Liste helle und dunkle Tücher befunden, eine Wendejacke, ein Pulli, eine Gasmaske, eine Taucherbrille, ein G20 Stadtplan, eine Hostelkarte. Die Zeugin wurde gefragt, ob sie selbst gesehen habe, dass es seine Sachen seien. Sie verneinte dies, das mache die Gesa, sie habe die Sachen fotografiert,
alles sei in einem Beutel gewesen. Der Richter zeigte die Asservate und nahm sie aus dem verschweißten Beutel, die Zeugin schaute sie an. Zudem zeigte der Richter ihr die ED Fotos und fragte, ob der Verdächtige so ausgesehen habe. Die Zeugin schränkte ein, er habe nicht so starken Bartwuchs gehabt, eher so wie jetzt im Gericht. Sein Verhalten sei ruhig und nicht aggressiv gewesen.
Die Verteidigung fragte, ob Zeugin Mahnken den Fall weiter bearbeitet habe, ob ihr mitgeteilt worden sei, dass es Unklarheiten gab und erst weitere Personen festgenommen wurden? Sie gab an, es habe zwei Verdächtige gegeben, aber man habe „nur einen gefunden“. Die Frage, ob sie Herrn Goller gesprochen habe, verneinte die Zeugin.

Als fünfter und letzter Zeuge wurde Jörn Gerlach (52 Jahre, LKA 112) aufgerufen. Er erklärte, an der Gesa beschäftigt gewesen zu sein und gemeinsam mit Frau Mahnken habe er entscheiden sollen, was weiter mit dem Verdächtigen passieren solle. Man habe ihm eine italienische Belehrung vorgelegt, ihm ein Telefonat mit eigenem Handy gestattet und seine Sachen dokumentiert. Die habe man ihm aber nicht selbst abgenommen, „die wurden so mitgeliefert“. Er erinnere eine Wendejacke, Stadtplan, Atemmaske. An das Verhalten des Tatverdächtigen erinnere er sich nicht, also müsse es wohl eher unauffällig gewesen sein. Verteidigung und Staatsanwalt hatten keine Fragen an den Zeugen.

Der Richter fragte nach den Einkommensverhältnissen des Angeklagten. Verteidigung und Angeklagter berieten sich kurz hierzu mit dem Ergebnis, dass eine genaue Angabe nicht möglich sei, da die Zahlen sehr schwanken würden. Der Richter hielt fest, dass es keine Vorstrafen, keine weiteren laufenden Verfahren und keine Einträge in Italien und Deutschland zu dem Angeklagten gebe.

Die Verteidigung nahm die Beweisanträge auf eine Vernehmung von Dudde, Stresow und Klingholt zurück.

Plädoyer des Staatsanwalts: Die Staatsanwaltschaft sah alle Anklagepunkte bestätigt. Es versammelten sich Vermummte in der Schanze, ca. 200 Personen. Der Angeklagte sei schwarz gekleidet gewesen, vermummt und habe einen Rucksack mit Ausrüstung mitgeführt. Es seien Beamte aus der Menge beworfen worden. Die erste Tathandlung des Angeklagten sei im Florapark erfolgt, ein Flaschenwurf auf einen mit Schutzkleidung und Visier versehenen Polizisten, eine Verletzung konnte nicht festgestellt werden. Die zweite Tathandlung sei ein Flaschenwurf aus einem Sprint heraus gegen einen zurückweichenden Beamten gewesen, es habe einen Treffer im Brustbereich gegeben, keine Verletzung. Der Tatverdächtige sei von einem Zivilbeamten im Auge behalten worden und zeitnah festgenommen worden.
Einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz von TABO bedürfe es nicht. Die Staatsanwaltschaft hielte die Aussage für uneingeschränkt verwertbar. Trotz verfremdeten Äußeren seien Mimik und Auftreten des Zeugen erkennbar gewesen. Es handele sich um einen Beamten, der darauf geschult sei, auch in unübersichtlichen Situationen Kontakt zur Zielperson zu halten und sie zu verfolgen bis zur Festnahme nach einer halben Stunde. Der Zeuge habe die Würfe nachstellen und beschreiben können. Er gehe letztlich davon aus, dass der Angeklagte die beiden Würfe durchgeführt habe und es bis zum Schluss keine Verwechslung gegeben habe. Deshalb habe er keine Zweifel an der Identifizierung. Aber ein Aktenvermerk über die Ergreifung einer weiteren, aber falschen Person, wäre wünschenswert gewesen.
Schwerer Landfriedensbruch, versuchte schwere Körperverletzung, tätlicher Angriff – das seien schwere Vergehen. Und trotz Panzerung sei eine Verletzung der Beamten möglich. Die Videos hätten deutlich hörbar den Flaschenhagel gezeigt und der Angeklagte habe sich beteiligt. Für diese Vergehen sähe das Gesetz eine Mindeststrafe von sechs Monaten vor, eine Höchsstrafe von zehn Jahren. Für den Angeklagten spreche jedoch sein bisher völlig rechtschaffener Lebenswandel. Zudem sei er besonders haftempfindlich aufgrund der Sprachbarriere. Darüber hinaus sei die Körperverletzung nur eine versuchte gewesen und nicht vollendet. Doch der Angeklagte habe die Auseinandersetzung gesucht, er habe eine Gasmaske usw. bei sich getragen und habe sich im Schanzenviertel aufgehalten, als die Lage eskalierte, er habe seinen Beitrag dazu geleistet. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten ohne Bewährung. Denn diese gäbe es nur bei einem Geständnis und einer Distanzierung von den Taten. Zudem werde ein Antrag auf DNA-Entnahme gestellt.

Plädoyer der Verteidigung: Die Verteidigung beantragte den Angeklagten freizusprechen und den Haftbefehl aufzuheben. Eine Verurteilung allein auf Aussage des Herrn Goller gestützt wäre nicht rechtens. Der Zeuge hat auf viele Dinge zur Hinterfragung oder Stützung seiner Glaubwürdigkeit nicht antworten können/dürfen. Niemand hat jemals seine Tatbeschreibung und seinen Aktenvermerk angesehen und Herrn Goller befragt. Bei TABO findet eine Wiedererkennungsleistung oft so statt: eine Person wird festgenommen und einfach vom TABO bestätigt. Es gibt aber Wiedererkennungsleistungen mit mehr Wert als andere. Wahrnehmungspsychologen sagen, Wahrnehmung ist nicht trainierbar, Wahrnehmung kann sich verschieben und beeinträchtigt werden. Die Zuverlässigkeit ist beispielsweise eingeschränkt in unübersichtlichen Situationen, bei Vermummung, die nicht die Gesamtheit des Gesichts erkennen lässt oder bei Stress. So hat der Zeuge angesichts der Videos ausgesagt, das Gesehene sei nicht, was er erinnere. Es ist ein entscheidender fraglicher Punkt, was geschehen ist zwischen zweitem Wurf und Festnahme. Wie hat die Person ausgesehen, als sie die Vermummung abnahm? Der Zeuge Goller hat die Person so beschrieben, wie der Angeklagte heute aussieht, er hat zur Festnahme aber anders ausgesehen!
Zum Tatvorwurf der versuchten schweren Körperverletzung führte die Verteidigung aus, dass die betreffende Einheit ausgestattet war mit Körperschutz und Helm. Die Schutzkleidung schütze im Brustbereich vor kinetischer Energie von bis zu 100 Joule, im Schulterbereich von bis zu 40 Joule und der Helm schütze vor bis zu 100 Joule. Eine 0,5 Liter Flasche von 400g, geworfen mit einer Geschwindigkeit von 50km/h (wobei aber beim Tathergang von einer geringeren Geschwindigkeit ausgegangen werden könne) entwickelt beim Aufprall 38,58 Joule kinetische Energie. Es ist also als zweifelhaft anzusehen, ob eine solche Flasche in diesem Fall einen gefährlichen Gegenstand darstellt.
Zum schweren Landfriedensbruch: Es ist keine geschlossene gewalttätige Menge auf den Videos zu sehen. Es ist nicht erkennbar, dass der von Goller geschilderte Sachverhalt sich bestätigte – es hat keinen schwarzen Mob gegeben, keine Menschenmenge im Park. Die Wahrnehmung des Herrn Goller ist beeinträchtigt gewesen durch die Angstsituation und die Unübersichtlichkeit. Er konnte nichts zum Geschlecht der Person sagen können, wolle aber so nah dran gewesen sein, dass er den Angeklagten „ausländisch“ sprechen hören habe. Er hat einen markanten Bart nicht gesehen oder nicht erinnert. Bei der zweiten Festnahme hat es keine Bestätigung gegeben, dass es sich um den Richtigen handelte. Goller ist einziger Belastungszeuge, aber es ist für den Zeitraum von 19.32 Uhr bis 19:50 Uhr nicht möglich gewesen, Fragen zum Ablauf des Abends zu stellen, aufgrund der eingeschränkten Aussagegenehmigung.

Das Gericht zog sich zur Urteilsfindung zurück.

Der Richter verkündete das Urteil. Der Angeklagte wurde des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, des schweren Landfriedensbruchs und der versuchten schweren Körperverletzung für schuldig befunden. Dafür erhielt er 1 Jahr und 6 Monate auf drei Jahre Bewährung. Der Haftbefehl wurde ausgesetzt. Der Angeklagte muss die Kosten des Prozesses tragen und erhielt zudem eine Geldstrafe von 1000 Euro, zu zahlen in Raten von 250 Euro zugunsten des Fördergebiets Natur- und Umweltschutz. Er muss seinen Wohnort/Aufenthaltsort dem Gericht mitteilen. Eine DNA-Entnahme wurde angeordnet. Der Richter betonte, der Angeklagte erhielte eine Bewährungsstrafe, da die drei Monate U-Haft ihm hinreichend vor Augen geführt haben dürften, dass so etwas, wie er getan habe, nicht toleriert werde. Aber er habe mit Plünderungen und solchen Dingen nichts zu tun gehabt. Der Richter fügte hinzu, die Politik habe harte Strafen gefordert, aber die Politik habe nichts zu fordern, dies sei Gewaltenteilung. Die Politik trage eine Teilverantwortung für das, was passiert ist. Es hat sich um eine „staatlich verordnete Selbstzerstörung“ gehandelt, den G20 in Hamburg stattfinden zu lassen. Dies rechtfertige aber nicht, sich mit Gasmaske auf den Weg zu machen und den Protest auf diese Weise zu zeigen. Er selbst möge Leute wie Trump und Putin auch nicht und fände es falsch, dass man Despoten eine Bühne böte. Er habe Verständnis für den Protest, aber auch Anwohner hätten ein Anrecht auf Frieden und Respekt, „etwas, was Sie als Ihre Einstellung beschrieben haben und was ich Ihnen auch glaube.“ Aber es erkläre nicht, warum er diese Sachen dabei gehabt habe, auch sei die Beschreibung Gollers zu Schuhen und Kleidung schlüssig. Die Masse sei allerdings kleiner gewesen, als von ihm geschildert. Bei Verletzungen durch die Flaschenwürfe wäre keine Bewährung drin gewesen, aber der Angeklagte sei nicht vorbestraft und habe den G20 zum Anlass genommen damit zu brechen, die Haft werde aber ausreichend Eindruck auf ihn gemacht haben: „Für Sie als einen Mann, der nicht die deutsche Sprache spricht und auch kaum Englisch, muss das sehr hart gewesen sein.“ Die dennoch hohe Strafe resultiere daraus, dass es keine Spontanhandlung gewesen sei. Aber der Angeklagte habe eine gute Sozialprognose – und da seien drei Monate U-Haft für zwei Flaschenwürfe „beileibe genug“.

Die Verteidigung kündigte Berufung an.

Die Anordnung der DNA-Entnahme wurde noch im Saal vollstreckt.