Ausführlicher Bericht zum 9. G20-Prozess am 26.9.2017

Der 9. Prozess gegen einen NoG20 Aktivisten wurde vor dem Amtsgericht Mitte geführt. Die Verhandlung fand jedoch im Sicherheitssaal des Landesgerichts statt. Besucher*innenraum und Verhandlungsbereich waren durch eine Glaswand getrennt, zudem fanden selektive Eingangskontrollen statt.

Die Anklage lautete auf schweren Landfriedensbruch, versuchte schwere Körperverletzung, Beisichführen und Verwenden gefährlicher Werkzeuge, sowie tätlicher Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Der Angeklagte soll fünf Steine und zwei Flaschen gegen einen Wasserwerfer sowie Personal der Beweis-und-Festnahme-Einheit 38 (BFE) geworfen haben. Betroffene konnten nicht ermittelt werden.

Der Prozess endete für den Angeklagten mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Zusätzlich hat der Angeklagte als Bewährungsauflage eine Geldstrafe von 1600 Euro in monatlichen Raten von 80 Euro an die Justizkasse zu entrichten und eine DNA-Abnahme durchführen zu lassen. Der freiwilligen Abgabe seiner DNA hatte er während des Prozesses nicht zugestimmt.

Der Angeklagte entschied sich für eine Einlassung. Diese wurde von seinem Verteidiger zu Beginn der Verhandlung vorgelesen: Der Angeklagte räume Flaschen- und Steinwürfe ein und bedauerte diese Handlungen. Er würde es noch mehr bedauern, wenn jemand durch seine Handlungen verletzt worden wäre. Er sei aus politischen Gründen nach Hamburg gekommen, um gegen den G20 Gipfel zu protestieren, er sei gegen Krieg und Gewalt. An dem Abend der Festnahme habe er sich von der aufgeheizten Situation zwischen Polizei und Demonstranten zu den Würfen hinreißen lassen. Das tue ihm leid.

Nach dem Verlesen der Einlassung kritisierte der Verteidiger die Sicherheitsvorkehrungen der Verhandlung und stellte die Frage nach deren Notwendigkeit. Zudem wolle er die Frage in den Raum stellen, ob ein Steinwurf gegen einen Wasserwerfer den Tatbestand einer versuchten gefährlichen Körperverletzung überhaupt erfülle. Die Frage, ob Flaschen oder Steine als gefährliche Waffen gelten können wolle er nicht ausführen, aber in den Raum stellen.

Als einziger Zeuge wurde ein in Mühlheim auch als Bereitschaftspolizist tätiger ziviler Tatbeobachter der Polizei geladen, Henrik Glanzin. Dieser gibt an, den Angeklagten als Tatbeobachter die gesamte Zeit während der dieser die ihm vorgeworfenen Straftaten begangen haben soll im Blick gehabt zu haben. Das Bewerfen der Beamt*innen und des Wasserwerfers sei in Abständen von 2-3 Minuten erfolgt. Polizeikräfte seien getroffen worden. Der Zeuge hatte Würfe und das Mitsichführen gefährlicher Gegenstände fotografisch festgehalten. Die Festnahme sei auf seine Initiative hin erfolgt. Er sei zur Tatzeit nicht alleine im Einsatz gewesen jedoch alleiniger Zeuge der Würfe. Während der Zeugenbefragung wies die Verteidigung auf einen Widerspruch zwischen einem polizeilichen Kurzbericht, der kurz nach der Festnahme des Angeklagten um 19:50 Uhr verfasst wurde und dem Vernehmungsbericht des Zeugen am selben Abend um 22.00 Uhr hin. Im Kurzbericht von 19:50 Uhr sind fünf Würfe dokumentiert; im Bericht von 22:00 sieben Würfe. Auf Nachfrage der Verteidigung wie es zu dieser Diskrepanz käme und ob noch andere Zeugenaussagen in den Polizeibericht miteingegangen seien verweigert der Zeuge die Aussage. Dabei beruft er sich auf die Grenzen seiner Aussagegenehmigung. Auch zu seiner Einsatzdauer vor und nach der Tatbeobachtung macht er keine Angaben. Auf detaillierte Nachfragen der Verteidigung zur Beschaffenheit der Körperschutzausrüstung der Polizei und ob diese den gängigen Richtlinien zu Polizeischutzkleidung entsprächen – nämlich menschliche Körper vor Schlägen bis zur Stärke von 60 Joule zu schützen – kann der Zeuge keine Angaben machen.

Nach Ende der Zeugenbefragung werden Videos und Bilder von der Tat zur Beweisaufnahme hinzugezogen. Diese sind weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung bekannt, da sie erst am Vortag ans Gericht weitergeleitet wurden. Zu Fragen nach weiteren Aktivitäten und Unterkunft in Hamburg machen Angeklagter und Verteidigung keine Angaben. Damit ist die Beweisaufnahme beendet.

In ihrem Schlussplädoyer sieht die Staatsanwaltschaft die Anklagepunkte des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, schweren Landfriedensbruch und der schweren Körperverletzung (u.a.§§§ 114, 125a und 223 StGB) als erwiesen, da der Angeklagte die Würfe zugegeben habe. Seine Handlungen würden durch die Aussage des Zeugen Glanzin bestätigt, sowie durch Bilder und Videoaufnahmen dokumentiert. Der Zeuge sei glaubhaft, da er eine sehr sachliche Schilderung der Ereignisse gegeben habe und nicht versucht habe, den Angeklagten zusätzlich zu belasten. Trotz Schutzausrüstung könnten hierbei gefährliche Verletzungen entstehen. Ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte ergebe sich aus dem Mitsichführen gefährlicher Werkzeuge. Der Wurf gegen den Wasserwerfer sei als Tatbestand der versuchten gefährlichen Körperverletzungen zu sehen, da er Beamt*innen hätte treffen können. Die Notwendigkeit einer Generalpräventiven Strafe sei gegeben, da alle, die sich an Auseinandersetzungen rund um den G20 beteiligt hatten ihren Teil zu den „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ in der Hamburger Sternsschanze am 7.7. beigetragen. Für den Angeklagten spreche sein Geständnis, sowie bestehende Haftempfindlichkeit aufgrund mangelnden deutscher Sprachkenntnisse und die Tatsache, dass er nicht vorbestraft sei. Die Staatsanwaltschaft forderte ein Strafmaß von 1 Jahr und 10 Monaten auf Bewährung (Haftstrafen können bis zu einer Höhe von maximal zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden), eine Bewährungsauflage von 1600 Euro, sowie die richterliche Anordnung einer DNA-Entnahme zwecks Anlegen einer DNA-Kartei.

Im Plädoyer der Verteidigung wird auf weitere Ausführungen zum Tatbestand verzichtet, weil ein Geständnis vorliegt. Der Angeklagte sei froh, wenn das Verfahren vorbei ist, und er nach Hause kann. Die Verteidigung stelle sich die Frage nach einem richtigem justiziellen Umgang mit dem Angeklagten. Das sei beim geforderten Strafmaß deutlich verfehlt. Was liegt dem Antrag zugrunde, ein Strafmaß von mehr als einem Jahr zu fordern?

Im Laufe des Plädoyers appelliert der Verteidiger wiederholt an das Gericht unabhängig, sachlich und rational zu urteilen. Die Art der bisherigen Verfahrensführung lege den Verdacht nahe, dass Forderungen nach hohen Strafen von Seiten der Politik, beispielsweise des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, nachgegeben werde. Das erste Urteil in einem Prozess gegen einen NoG20-Aktivisten werde von der Presse, aber auch der Staatsanwaltschaft und den Richter*innen als Maßstab für „milde“ oder „harte“ Urteile genommen. Die Unterschiede zwischen den Urteilen der einzelnen Verfahren, die folgten, seien kaum ersichtlich. Die Angeklagten seien hauptsächlich junge Menschen aus dem EU-Ausland, die nach einer kurzen Beweisaufnahme abgefertigt würden und in deren Strafzumessung selten unter einem Jahr verhandelt werde. Strafverschärfend werde auch immer wieder angegeben, dass die Angeklagten mit ihrer alleinigen Anwesenheit zum G20 einen Beitrag zu vermeintlich bürgerkriegsähnlichen Zuständen geleistet hätten. Die Verteidigung merkte auch kritisch die Unsachlichkeit der von der Staatsanwaltschaft verwendeten Wendung von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ an. Dies sei eine Formulierung die von den Boulevard-Medien verwendet würde und keinen Platz im Justizverfahren haben sollte und zudem reale bürgerkriegsähnlichen Zustände wie beispielsweise in Syrien diskreditiere. Es könne zudem nicht sein, dass aus generalpräventiven Gründen an die Obergrenze des Strafmaßes herangegangen würde. Die Notwendigkeit der Generalprävention kann nicht einfach behauptet , sondern muss begründet werden, zum Beispiel durch eine relevante Zunahme von Straftaten, die hier nicht gegeben ist. Die Verteidigung forderte daher ein Strafmaß von 6 Monaten auf Bewährung.

Urteil: Der Richter ging in seinem Urteil nicht auf den Appell an die Sachlichkeit der Justiz ein. Er sehe alle drei Tatbestände als erwiesen an. Er begründete sein Urteil damit, dass das Geständnis des Angeklagten mit der Aussage des Zeugen übereinstimme. Die öffentliche Sicherheit sei zudem gefährdet gewesen. Der Angeklagte sei planvoll vorgegangen. Für den Angeklagten spräche, dass er sich geständig und reuig gezeigt habe, keinerlei Vorstrafen besäße, sowie die erschwerten Bedingungen in der U-Haft, da er kein Deutsch spricht. Trotz seiner guten Sozialprognose sei er gefährdet seine Taten zu wiederholen, daraus begründe sich die Anordnung der DNA-Abnahme.