Wir dokumentieren einen Text vom Grenzüberschreitendes Solikomitee:
Erste Elemente um den Verlauf des Verfahrens zur Elbchaussee zu begreifen, dass am 18. Dezember in Hamburg begonnen hat – oder: Wie der deutsche Staat versucht zu belegen, dass alle Personen die an einer Demonstration teilnehmen, organisierte Schwerverbrecher*innen sind, und als solche verurteilt gehören.
Ein*e jede*r weiss, dass die Justiz ein unflätiges Theater ist, bei dem die Reichen und ihre Handlanger*innen die Armen und Rebell*innen angehen. Dennoch sind seine Aufführung mitnichten gleichwertig. Es erscheint oft als flink oder gar abgehackt. Mal erscheint es, als zu gut geölt, kein Zweifeln am seinem Ausgang lassend, dramaturgisch schwach.
Die Aufführung die am Dienstag, den 18. Dezember vor dem Hamburger Gericht begann, kommt angesichts der 29 geplanten Verhandlungstage bis Mai mit viel Hecheln daher und mit mehr Überraschungen, als abzusehen war. In der Kritik: Das äußerst schlecht geschriebene Szenario, ein beklemmender Casting-Fehler und eine unerwartete Intervention. Versuch einer Aufschlüsselung.
Erste Elemente um den Verlauf des Verfahrens zur Elbchaussee zu begreifen, dass am 18. Dezember in Hamburg begonnen hat – oder: Wie der deutsche Staat versucht zu belegen, dass alle Personen die an einer Demonstration teilnehmen, organisierte Schwerverbrecher*innen sind, und als solche verurteilt gehören.
Ein*e jede*r weiss, dass die Justiz ein unflätiges Theater ist, bei dem die Reichen und ihre Handlanger*innen die Armen und Rebell*innen angehen. Dennoch sind seine Aufführung mitnichten gleichwertig. Es erscheint oft als flink oder gar abgehackt. Mal erscheint es, als zu gut geölt, kein Zweifeln am seinem Ausgang lassend, dramaturgisch schwach.
Die Aufführung die am Dienstag, den 18. Dezember vor dem Hamburger Gericht begann, kommt angesichts der 29 geplanten Verhandlungstage bis Mai mit viel Hecheln daher und mit mehr Überraschungen, als abzusehen war. In der Kritik: Das äußerst schlecht geschriebene Szenario, ein beklemmender Casting-Fehler und eine unerwartete Intervention. Versuch einer Aufschlüsselung.
Die Ausgangslage ist bekannt. Auf der einen Seite stehen die Stadt Hamburg, ihre Bullen und ihre Justiz, auf der Suche nach Rache für die Schmach die sie während den Hamburger Aufständen erlitten, welche ihren G20-Gipfel 2017 ruiniert haben. Dieser Teil der Beteiligten hat die ganz großen Mittel mobilisiert, um einen Erfolg mit Wiederhall zu erzeugen. Der Löwenanteil zur Absatzförderung des Verfahrens wurde von den Medien übernommen. Verleumdungsaufrufe, Razzien, europäischer Haftbefehl und andere Verhaftungen im Ausland haben zur Illusion einer effizienten Ermittlungsarbeit beigetragen (immerhin 180 Vollzeitermittler über 15 Monate).
Auf der anderen Seite sind die fünf Beschuldigten, verfolgt, verleumdet, festgenommen und (im Fall von drei unter ihnen) eingesperrt. Sie sollen für die Vorwürfe zur Rechenschaft gezogen werden: Beteiligung an der Express-Verwüstung der schicken Elbchaussee in den frühen Morgenstunden des 7. Juli. In wenigen Minuten soll dieser zügige Spaziergang gegen die reichsten Herrscher auf diesem Planeten eine Millionen Euro werte Zerstörung mit sich gebracht haben, da systematische Sachschäden an den Symbolen des Reichtums und der Macht verursacht wurden: Banken, Konsulate, Autos, Läden und ein berühmtes skandinavisches Geschäft für Drecksmöbel.
Auf dereinen Seite befinden sich also fünf junge Menschen, vier Deutsche und ein Franzose. Auf der anderen eine Bullenarmada, Richter, Politiker und Journalisten die von ihrer Schuld überzeugt sind. Doch von welcher Schuld wird hier gesprochen? So lautet die geheimnisvolle Fragestellung, die aich am ersten Tag des Prozesses allen Anwesenden aufdrängte.
Nachdem sich der unheilverkündende Vorhang aufgrund dutzender UnterstützerInnen die den Saal füllten verspätet öffnete, begann das Gericht mit der Verlesung der unzähligen Tatvorwürfe. Es folgte eine einschläfernde Verlesung der zahllosen Sachbeschädigungen die an der morgentlichen Demonstration erfolgten. Dazu gehörte eine weitschweifige Verlesung der Nummernschilder verbrannter Fahrzeuge wie auch eine Schätzung des Wertes einer jeden Zerstörten Fensterscheibe im Viertel. Denn darum geht es doch. Wenn Autos brennen und Scheiben bersten, dann fordert der Staat, dass diejenigen, die Autos verbrennen und Scheiben zerstören, bestraft werden. Dennoch dürften geneigte Zuschauer*innen durch eines sehr überrascht worden sein: Es fehlte jegliche Verknüpfung zwischen den beschuldigten Personen und den angeführten Straftatbeständen. Anders gesagt: Der Prozess, der landein landaus als das Verfahren gegen die Feuerteufel der Elbchaussee angekündigt wurde, beschuldigt fünf Personen, denen mitnichten vorgeworfen wird, tatsächlich Scheiben zerstört oder Autos den Flammen übergeben zu haben.
Was den Beschuldigten vorgeworfen wird ist vor allem deren angebliche Anwesenheit bei dieser Versammlung – und einige weitere Gesten im Fall unseres Freundes Loïc. Und was die Staatsanwaltschaft, also der Staat, im Laufe der kommenden Monate durchsetzen will, ist, dass es möglich sein soll Menschen zu mehrjährigen Haftstrafen zu verurteilen, für die einfache Gegebenheit, dass diese auf einer Demonstration gewesen sein sollen, bei der es Sachschaden gab – und dass ohne beweisen zu müssen, dass diese Personen praktisch an diesen Beschädigungen beteiligt waren. Damit dieser Hokuspokus gelingt, muss es möglich sein aus einer Demonstration eine organisierte kriminelle Bande zu machen – diese Heldentat zu verwirklichen erscheint als das Ziel des Hamburger Staatsanwaltes Tim Pashkowski.
So scheint, als könne dass von der Anklagebehörde geschnürte Drama zu einer unreifen Satire mutieren. Denn die Leere der Anklage, welche die Verteidigung seit Monaten aufzuzeigen versucht, scheint auch der Vorsitzenden der 17e Strafkammer nicht entgangen zu sein. Im Rahmen der mündlichen Auseinandersetzungen vor Prozessbeginn, stellte die Richterin Anne Meyer-Goring fest, dass ihre Einschätzung der höchsten zu erwartenden Strafen deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft liegt. Sie forderte ohne Erfolg eine Entlassung von zwei der Angeklagten und kritisierte als Jugendrichterin (zwei der Beschuldigten waren zum Tatzeitpunkt minderjährig) die Arbeit der Ermittler, die sie beschuldigte die Verfahren auf Einfluss politischem und medialem Drucks aufzubereiten. Diese Missbilligung führte dazu, dass die Staatsanwaltschaft versuchte ihr im Vorfeld den Fall noch Anfang Dezember zu entziehen. Dieser Befangenheitsantrag wurde nicht angenommen, so dass Sie nun die Aufgabe hat, diesen umfangreichen Prozess führt und die schwierige Aufgabe hat, diese neuen repressiven Methoden der deutschen Polizei und ihre politischen Vorstellungen (die Kriminalisierung sämtlicher an einer teilweise gewalttätigen Versammlung beteiligten Personen) zu bewerten.
(Es wäre uns natürlich fern, eine Beamtin zu verehren. Auch wenn Sie sich zur Verteidigung des „guten Rechtsstaates“ aufmacht und als Bollwerk gegen bestimmte polizei-politische Auswüchse anrennt, trägt Sie noch immer die Logik der anklage mit,die bis zu drei Jahre Haft ohne Bewährung einfordert.)
Zu den erheiternden Innovationen im Rahmen der ermittlungen gehört nicht zuletzt die massive und automatisierte Erfassung von Einwohner*innen und Demonstrant*innen mithilfe der speziell für diesen Anlass besorgten Gesichtserkennungssoftware. Zehntausende Gesichter wurden aufgenommen, sortiert, klassifiziert und nach „Profilen biometrischer Gesichtserkennung“ gespeichert, die ermöglichen sollen Individuen auf anderen Bildern zu erkennen, ihre Bewegungen in Menschenmengen nachzuvollziehen etc. Da dies einer soliden rechtlichen Grundlage entbehrt brauchte es nicht nur Aktivist*innen und Anwält*innen um dies anzuprangern. Dienstag, am Tag des Prozessbeginns ordnete der Datenschutzbeauftragte die Absage der Verwendung des Programms an. Wir reden immerhin über 100 Terrabites an Informationen, 32.000 Foto- und Videodateien einer niemals festgestellten Anzahl an betroffenen Personen.
Die Polizei hat ihre eigenen Bilder verwendet, aber nicht nur. Es stammt von ÖPNV-Kameras, Bahnhöfen, Medien und zahllosen ehrlichen Bürgern die ihre Diffamierung auf einem speziell von den Behörden eingerichtenten Verratsportal veröffentlichten. Der Datenschutzbeauftragte stellte fest, dass diese Prozedur „in erheblichem Maße die Freiheitsrechte einer vielzahl an Personen“ beschnieidet. Er fordert die Löschung der Daten und den Verbot der Software „Videmo360“. Die Bullen würden ihr millionenschweres Spielzeug ihrerseits gerne weiter verwenden, auch wenn es nicht den bahnbrechenden Erfolg gebracht hat (gerade mal drei identifizierte Personen im Zusammenhang mit dem G20). Dies beweist die neue Serie an öffentlichem Bild-Fahndungsmaterial, bei der die hamburger Polizei in derselben Woche 54 Gesichter veröffentlichte. All dies um die Kultur der Diffamierung und des Verrats erneut zu stärken
In dieser Stimmung wurde also der Schau-Prozess eröffnet, bei dem sich alle Aktivist*innen, Jurist*innen und Politiker*innen einig sind: Er könnte Rechtsgeschichte schreiben und möglicherweise schwerwiegende Folgen für das Recht auf Versammlungsfreiheit haben. Und da kein gutes Spektakel wirklich ohne Publikum auskommt, wurde sich darauf geeinigt die kommenden Prozesstage, am 8. und 10. Januar, öffentlich zu halten. Die kommenden Akte dürften einige Ungereimtheiten und Schwächen der Anklageschrift zutage fördern und vielleicht den bleibenden Fragen neue Elemente servieren.
Zum Beispiel: Dürfen deutsche Bullen alles, wenn Sie im Ausland unterwegs sind? Oder, entsteht der Schwarze-Block, so wie es die Staatsanwaltschaft vorgibt „aus einer arbeitsteiligen, überlegten, Kooperation“ ? Was hat es mit der „mentalen Unterstützung“ der die „friedlichen“ Demonstrant*innen beschuldigt werden auf sich und inwieweit sollen diese diejenigen unterstützt haben, die Dinge kaputt gemacht haben? Kann ein Mensch für Handlungen auf einer Demonstration verantwortlich gemacht werden, wenn diese Person die Demonstration bereits verlassen hat? Ist es wirklich möglich zu behaupten, dass das Bewegungsprofil einer Person so einzigartig ist wie ihre Fingerabdrücke?
Das Drama was der Staat sich hier zu schreiben zwingt wird vermutlich nicht zu einer Komödie werden. Dennoch sollte jede der kommenden Sitzungen als Möglichkeit begriffen werden, sowohl die Lächerlichkeit der Anschuldigungen als auch die Richtigkeit der angeführten Aktionen zu unterstreichen. Sie sollten als die Gelegenheit begriffen werden in verschiedenster Art unsere Genossen und Freunde zu unterstützen, die Widerwillen zu Schauspielern in diesem grotesken Schelmenstück geworden sind. Es gab erste Versammlungen und Aktionen in den Tagen um den Prozessbeginn, in Paris, in Nancy, in Freiburg, in Frankfurt und in Berlin, sowie eine größere Vorabenddemo in Hamburg. Es gab Feuerwerk auf den Dächern befreundeter Projekte und Parolen und Gesänge erhoben sich vor den mauern des Knastes, in dem drei der Beschuldigten noch eingesperrt sind. Am Tag der Prozesseröffnung wurden sie mit Applaus im Gerichtssaal empfangen und haben ihn mit gehobener Faust wieder verlassen. Der Prozess wird lang sein – wir sind dieser Tage mit unseren Gedanken bei ihnen!
Liberté pour Loïc !
Freiheit füralle Gefangenen des G20 !
Grenzüberschreitendes Solikomitee
Nächste Prozesstermine:
Januar: 8, 10, 15, 17, 22, 24, 29, 31
Februar: 7, 8, 14, 15, 20, 21
März: 18, 22, 28, 29
April: 4, 5, 25, 26
Mai: 2, 3, 9, 10
Anmerkung: Der Prozesstag am 8. Januar dauert nur etwa 15 Minuten.
Unterstützung zur Finanzierung
Die Verteidigung von Loïc, sein Leben im Knast und Reisen zu seiner Unterstützung kosten viel Geld.wenn ihr euch beteiligen könnt, spendet an die Rote Hilfe und/oder an den Verein CACENDR (Betreff: „Don pour Loic“). Danke!
RIB: https://manif-est.info/home/chroot_ml/ml-manif-est/ml-manif-est/public_h…
Die Frage mit den Büchern:
Loïc will Bücher, viele Bücher, sehr viele Bücher um, wie er sagt „die intellektuelle Waffe zu ernähren“. Er liesst etwa zwei Bücher am Tag (nicht die Plejaden) in einer kleinen Zelle, zwischen Schlaf und den paar dutzend Minuten Hofgang. Die Regeln der Knastverwaltung sind hart: Die Bücher müssen neu sein, müssen vorher der Knastverwaltung gemeldet werden usw. Die ersten Bücher haben einen Monat gebraucht um ihn zu erreichen. Um Dopplungen zu vermeiden, ist es am einfachsten mit Spenden. Wenn ihr Verleger*in, Buchändler*in oder Autor*in seit, könnt ihr auch durch Bücherspenden eurer Solidarität Ausdruck verleihen. Kontaktiert dafür gerne die unten angegebene Kontaktadresse, das wird ihn sehr freuen. Danke!
Kontakt:
soutienloic(at)riseup(dot)net