„Ermittlungserfolge“, oder viel heiße Luft, Manipulation und Lügengebilde? Statement Einiger von United We Stand

Statement zu  angeblichen „Erfolgsmeldungen“ nach polizeilichen Öffentlichkeitsfahndungen. Verfasst von einigen Menschen aus der Kampagne United we Stand.

Mithilfe einer massiven Medienkampagne werden seit den Ereignissen um den G-20 Gipfel regelmäßig „Erfolgsmeldungen“ über gelungene Öffentlichkeitsfahndungen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen verbreitet. Bei näherem Betrachten erweisen sich viele dieser Berichte als Farce, mit denen die Polizei versucht von ihrem Scheitern abzulenken und gerechtfertigten Widerstand gegen den G20 Gipfel zu kriminalisieren und zu delegitimieren.

Jüngstes Beispiel hierfür sind die Hausdurchsuchungen in Göttingen am 28.6. Ein Beschuldigter, der angeblich mittels Bildmaterial als Beteiligter an den Auseinandersetzungen zum G20 in der Schanze beteiligt gewesen sein soll, befand sich zur angeblichen Tatzeit nachweislich in Japan. Dass die zweifelhafte Aussage eines Polizeibeamten ihn auf dem Bildmaterial wiedererkannt zu haben ausreichte, um eine Hausdurchsuchung durchzusetzen, kann angesichts des Verurteilungswillens der Hamburger Justizbehörden bei den bisherigen G20-Urteilen nicht überraschen.
In diesem Fall konnte der Betroffene zum Glück nachweisen, dass er während des G-20-Gipfels gar nicht in Hamburg war. Was ist aber mit allen anderen, die nur aufgrund der Aussagen von Polizeibeamten identifiziert worden sein sollen?
Wie weit es mit der Glaubwürdigkeit von Polizeiaussagen bestellt ist, konnte man auch im so genannten Laserpointer-Prozess feststellen, bei dem im Laufe der Hauptverhandlung Lügen der Hubschrauberbesatzung offenkundig wurden.
Auch das Mittel der Gesichtserkennung ist bei weitem nicht so zuverlässig wie oft vermittelt wird. Aus verschiedenen Studien der letzten zehn Jahr lässt sich ableiten, dass jede zehnte angebliche Gesichtserkennung fehlerhaft war. Bei Frauen z. B. lag die Fehlerquote sogar doppelt so hoch wie bei Männern.

Bereits am Tag vor den Razzien in Göttingen hatte es bundesweit 13 Hausdurchsuchungen durch die Soko „Schwarzer Block“ gegeben. Vier der Durchsuchungen fanden in Frankfurt und Offenbach statt und endeten mit Festnahmen. Noch am selben Tag wurden die Beschuldigten nach Hamburg verbracht und dem Haftrichter vorgeführt. Zwei der Festgenommenen sitzen seitdem in U-Haft, zwei Jugendliche wurden nach zwei Tagen aus der Haft entlassen, die Haftbefehle aber weiterhin aufrechterhalten. Der Vorwurf lautet lediglich, an bestimmten G-20 Protesten teilgenommen zu haben.

Europaweite Razzien Mai 2018

Schon bei den europaweit koordinierten Razzien Ende Mai musste die Hamburger Staatsanwaltschaft zugeben, dass allen Beschuldigten dieser Aktion keine konkreten Tatbeteiligungen vorgeworfen würden. Als Beweis für die vorläufige Festnahme eines jungen Schweizers präsentierte sie ein Video, auf dem der junge Mann sich einen Pullover in Tatortnähe auszieht. Die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, Nana Frombach erklärte dazu, dass dem Beschuldigten ein konkreter Tatbeitrag nicht vorgeworfen werde, er soll Teil einer vermummten und gewaltbereiten Gruppe von 220 Personen gewesen sein und müsse sich daher das Handeln anderer Gruppenmitglieder zurechnen lassen. Obwohl es keinen konkreten Tatvorwurf gibt, wurde sein Foto im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung publik gemacht.
Die Aargauer Zeitung schrieb dazu: „Während mutmaßliche Aargauer Krawallmacher gnadenlos gejagt werden, sind unsere Nachbarn mit den politischen Verantwortlichen weitaus nachsichtiger. Andy Grote ist immer noch Innensenator von Hamburg. Der sorglose Bürgermeister Scholz hat seinen Posten allerdings mittlerweile geräumt. Er wurde nach Berlin versetzt. Dort ist er nun Finanzminister und Vizebundeskanzler.“

Gerichte erklären nach Klagen der Betroffenen polizeiliche Maßnahmen für rechtswidrig.

Bereits im September wurden die Ingewahrsamnahmen von 44 Jugendlichen aus NRW für rechtswidrig erklärt. Am 8. Juli 2017 wurde ein Bus des Jugendverbandes der Falken aus NRW von der Polizei gestoppt und alle Insass*innen ohne Information über den Grund für mehrere Stunden in Gewahrsam genommen. Sie mussten sich in der Gesa bis auf die Unterwäsche ausziehen, wurden teilweise im Intimbereich abgetastet und durften nur unter Beobachtung zur Toilette. Die Polizei erklärte später, es habe sich um eine Verwechslung gehandelt und zahlte eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 6370 Euro.

Am 5. Juni erklärte das Verwaltungsgericht die Ingewahrsamnahme von 15 Italiener*innen für grob rechtswidrig. Am 8. Juli wurden diese am Rande der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ Ingewahrsam genommen. Anlass war laut Polizei, dass die Gruppe „szenetypische Kleidung“ getragen und italienisch gesprochen habe. Über Polizeifunk war vorher vor Italiener*innen gewarnt worden, die vorhätten, „schwere Straftaten“ zu begehen und deshalb „offensive Maßnahmen zu Identitätsfeststellung“ geboten seien. Bei der morgendlichen G20 Lagebesprechung hatte der Verfassungsschutz (VS) berichtet, dass er über eine Informant*in Erkenntnisse habe, dass Italiener*innen an diesem Tag noch eine große Aktion vorhätten.

Bei der Verhandlung im Juni 2018 erklärte der Hundertschaftsführer, dass keine konkrete Gefahr von der Gruppe ausgegangen sei. Als sich dann aber noch der Demo-Anmelder persönlich nach den Leuten erkundigt habe, sei dies für ihn ein Beweis gewesen, es handele sich um eine relevante Gruppe. Grundlos wurden sie bis zu 25 Stunden festgehalten, ohne einem zuständigem Richter vorgeführt zu werden. Auch sie mussten sich nackt ausziehen, in den Zellen brannte während der ganzen Nacht das Licht, stündlich wurde die Zellentür geöffnet, um die Leute durch Schlafentzug mürbe zu machen.
Der Richter erklärte die Ingewahrsamnahmen für grob rechtswidrig. Die Italiener*innen waren durch das Versammlungsrecht geschützt. Den Kläger*innen ist schwerwiegendes Unrecht geschehen. Die Warnung über Polizeifunk vor Italiener*innen aufgrund einer geheimen Quelle des VS war unverantwortlich. Italienisch sprechen, eine schwarze Bauchtasche und eine schwarze Regenjacke können unter keinen Umständen für eine Ingewahrsamnahme genügen. Daher sei selbst, wenn sie keine Versammlungsteilnehmer gewesen wären ihre Ingewahrsamnahme grob rechtswidrig. Dies gelte auch, selbst wenn einer eine Sturmhaube, einen Plan der Elbchaussee und Pyrotechnik dabei gehabt hätte, weil eine unverzügliche gerichtliche Anordnung der Ingewahrsamnahme bei keine*r der 15 Italiener*innen eingeholt wurde.
„Das Urteil macht deutlich, wie eklatant durch die Polizei während des G20-Gipfels das Recht gebrochen wurde“, erklärte Rechtsanwalt Stolle.

In anderen Beschwerdeverfahren bezüglich der Gesa, die von diversen Betroffenen eingereicht wurden, steht nach Anhörungen durch das Landgericht auch hier fest, dass eine unverzügliche gerichtliche Anhörung in rechtswidriger Weise nicht stattgefunden hat.

Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zerschlagen sich in Strafverfahren
Beispiele:
Am Rondenbarg hatte maßgeblich die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) »Blumberg« eine Demonstration brutal zerschlagen, mit 14 Schwerverletzten. Bei der Demonstration wurde der 18jährige Fabio V. festgenommen und saß ca. 5 Monate in U-Haft, ohne dass ihm eine konkrete Straftat vorgeworfen wurde. Der Hamburger Polizeipräsident Meyer erklärte: „Es reicht eben, wenn man sich in so einer Gruppe bewegt“ und verwies auf eine Entscheidung des BGH vom Mai 2017 zum Landfriedensbruch. Dieses Urteil basiert auf einer verabredeten Hooligan-Schlägerei zwischen generischen Fußballfans, der BGH hat den Fall ausdrücklich von Demonstrationen, die dem Versammlungsschutz unterliegt, abgegrenzt. Die Staatsanwaltschaft versucht zu belegen, dass es sich im Rondenbarg nicht um eine politische Demonstration gehandelt habe. Mittlerweile hat sie jedoch selbst Zweifel an ihrer eigenen These und denkt, dass es sich doch um eine Versammlung gehandelt haben könnte, die vor einem Angriff der Polizei hätte aufgelöst werden müssen.

Im so genannten Laserpointerverfahren war bereits zur Prozesseröffnung nicht mehr die Rede von U-Haft Vorwurf „versuchtem Mord“. Im Verfahren wurde dann klar, die Angaben der Piloten stimmen hinten und vorne nicht. Weder können beide auf dem jeweils rechten Auge geblendet worden sein – laut Sachverständigem wäre dies nur mit einem linken Glasauge möglich, noch hat der Hubschrauber an Höhe verloren, wie in dramatischen Erzählungen des Piloten behauptet. Das Urteil zu einer geringen Bewährungsstrafe, das die U-Haft des Beschuldigten rechtfertigen soll, formuliert als Vorwurf nun (einen untauglichen) versuchten gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr und versuchter Körperverletzung. Der Betroffen hat gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt, da er nach wie vor Freispruch fordert.

Auch in anderen Verfahren, wie zum Beispiel bei Konstantin mussten Vorwürfe fallen gelassen werden. Konstantin ist bislang der erste, der für seine erlittene U-Haft Haftentschädigung erhalten hat. Er wurde zu einer geringen Geldstrafe wegen vermeintlichem Widerstand bei der Festnahme verurteilt, nachdem der eigentliche Grund der Festnahme sich als falsch erwiesen hatte.

Aktueller Stand

Die Staatsanwaltschaft leitete nach Angaben ihres Chefs Ewald Brandt bis zum 1. Juni genau 1889 Verfahren ein, davon 635 gegen bekannte Beschuldigte. Bis zum gleichen Datum hat die Staatsanwaltschaft laut Gericht 156 Anklagen eingereicht. Bis Anfang Juli wurden dieses Jahr 5 Personen frei gesprochen und seit dem G20 58 verurteilt, rechtskräftig ist davon jedoch gerade mal etwas mehr als die Hälfte. Einige Verfahren wurden eingestellt. Weniger als 90 der Anklagen waren bis Anfang Juli noch offen. Schon jetzt ächzen die Gerichte, das durch die Belastung der G20 Prozesse andere Verfahren liegen bleiben. Selbst wenn die kommenden Prozesse in Schnitt nur drei Tage dauern, blockiert das die Justiz für die nächsten Jahre. Auch vermeintlich aussichtslose Verfahren erscheinen manchmal nur so.
In Haft sind derzeit 7 Personen. 3 von ihnen sind in Untersuchungshaft.

Fazit

Die Erfahrungen in den Prozessen haben gezeigt, dass eine offensive Prozessführung nicht dazu führen muss, eine hohe Verurteilung zu riskieren. Gefangene, die keine Aussagen gemacht oder in ihren Erklärungen Bezug auf den G20-Protest genommen haben, sind nicht zu höheren Strafen verurteilt worden, im besten Fall wurden Vorwürfe fallen gelassen oder deutlich geschwächt.
In Emilianos Verfahren, dem 9. G20 Prozess – wurde deutlich, dass eine Bewährungsstrafe ohne Geständnis und mit politischer Erklärung am ersten Prozesstag sehr wohl möglich ist. Die Staatsanwaltschaft hatte lautstark verbreitet, eine Bewährungsstrafe und damit der Weg aus der U-Haft ginge nur über ein Geständnis.

Dies und die hohen Verurteilungen bei den ersten G-20 Prozessen, sowie die monatelange U-Haft in einem Land, dessen Sprache sie nicht oder nur unzureichend verstehen konnten, hat dazu geführt, dass einige Gefangene Kompromisse eingegangen sind, Aussagen gemacht oder Positionen vertreten haben, hinter denen sie nicht stehen. Wir verurteilen das nicht und sind solidarisch mit allen Angeklagten. Die Grenze ist für uns dann überschritten, wenn andere Genoss*innen belastet, denunziert werden.

Gezielt wurde von Seiten der Repressionsbehörden Druck auf Menschen ausgeübt, von denen sie annahmen, dass diese aus unterschiedlichen Gründen diesem nachgeben. Eine Bewährungsstrafe in Deutschland ist für die meisten EU Bürger*innen nicht relevant, denn die Bewährungszeit gilt nur in der BRD. Auch die Strafe an sich taucht nicht automatisch in ihrem Herkunftsland auf. Bei anderen Beschuldigten liegt die Vermutung nahe, dass bei bestimmten „Tatkomplexen“ gezielt junge Genoss*innen als erste angeklagt wurden, in der Annahme, diese könnten leichter zu brechen sein. Bei Fabio ist ihnen dieser Plan deutlich auf die Füße gefallen.
Die Repression im Nachklang des G20 überrascht jedoch nicht. Die Zerstörung des schönen Scheins des Gipfeltreffens hat sie aus der Ruhe gebracht.

Durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Aktionen, die Blockaden und Barrikaden, Aktionen gut organisierter Kleingruppen, Demos und die Solidarität der Menschen untereinander wurden die großmäuligen Versprechen von Scholz, Grote, Dudde und Co ad absurdum geführt. Es wurde weder ein Hafengeburtstag gefeiert noch blockierte die Zurschaustellung modernster Polizeitechnik den Widerstand auf den Straßen.

Für viele, die während der Tage auf der Straße waren, bleibt die Erfahrung, dass es möglich ist – trotz einer Übermacht der Gegenseite – sich die Straße zu nehmen, sich nicht unterkriegen zu lassen, eine Erkenntnis, die Mut macht und auf die es aufzubauen gilt, gerade für zukünftige Kämpfe. Trotz monatelanger Vorbereitung der Gegenseite und bewaffneter polizeilicher Armee, die Fähigkeit zu haben, immer wieder die Initiative zu ergreifen, sich Räume zurück zu erobern, ist nicht nur für die, die zum ersten Mal auf der Straße waren, eine ermutigende Erfahrung.
Die Solidarität, die auf den Straßen erlebbar war, gilt jetzt allen, die von Repression betroffen sind. Solidarität ist eine fundamentale politische Haltung, und sie ist unsere stärkste Waffe. Wir lassen Betroffene nicht allein.
Die Repression ist gegen alle gerichtet, die in den Tagen des Gipfels auf der Straße waren und gekämpft haben.

Der Repressionsapparat, den sie im Zusammenhang mit dem G20 auffahren – eine riesige Demoverbotszone, Campverbote, europaweite Razzien, Öffentlichkeitsfahndung, Hausdurchsuchungen und Festnahmen dienen einzig und allein dem Ziel, den Widerstand einzuschüchtern und Menschen davon abzuhalten, auf die Straße zu gehen. Sorgen wir dafür – und dazu gehört auch die Solidarität mit den Gefangenen und den von Repression Betroffenen – dass ihre Rechnung nicht aufgeht.

Statemnt verfasst von Einigen von United we Stand, 21. Juli 2018