Der 10. Prozess gegen eine NoG20-Aktivisten fand vor dem Amtsgericht Altona statt und endete mit einem Urteil von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung.
Die Verhandlung fand in einem der kleineren Säle statt. Vor dem Raum war eine provisorische Sicherheitsschleuse aufgebaut worden, an der ein Sicherheitscheck vorgenommen wurde, vermutlich um die Gefährlichkeit des Angeklagten öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Bei der Verhandlung war Presse anwesend. Fotografen versuchten Bilder des Angeklagten zu machen, noch bevor dieser sein Gesicht bedecken konnte. Dies wurde von einem Justizbeamten mit dem Verweis unterbrochen, dass im Verhandlungsraum keine Fotos gemacht werden dürften. Der Fotograf wollte daraufhin die Richterin sprechen, was der Justizbeamte gewährte. Nach diesem Gespräch machte der Fotograf weitere Fotos des Angeklagten, darunter auch Porträtaufnahmen.
Die Anklage gegen den Beschuldigten lautet gemäß §114 und §223 StGB gefährliche Körperverletzung mit einem gefährlichen Werkzeug, sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im Dienst. Die Handlungen sollen am Abend des 6.7. stattgefunden haben. Nach der Bekanntgabe der Anklagepunkte, verlas die Verteidigung eine kurze Stellungnahme des Angeklagten: Er gestehe seine Tat und bereue seine Handlungen. Er habe sich von der aggressiven Stimmung mitreißen lassen. Er bestreite nicht seinen politischen Hintergrund, sondern stehe dazu zum G20 gekommen zu sein, um friedlich zu protestieren. Durch seinen Wohnsitz auf Sizilien bekomme er die Flüchtlingskrise hautnah mit und sei deswegen nach Hamburg gekommen, um friedlich gegen die Politik der G20 zu demonstrieren. Die Stellungnahme wurde mit dem Vermerk verlesen, dass sich nicht weiter zu Nachfragen diesbezüglich geäußert werde. Staatsanwältin und Richterin stellten dennoch weitere Nachfragen. Die Richterin merkte zudem an, dass es zwar das Recht des Angeklagten sei, nichts weiter zu sagen, aber das so ein „anderer“ Eindruck entstehe.
Die Zeugenaussage wurde schriftlich vorgetragen, da der Zeuge nicht anwesend war. Der Zeuge Hachmann, Beamter der Bundespolizei aus Bielefeld, war während des Gipfels als ziviler Tatbeobachter eingesetzt. Gemäß seiner Aussage hielt sich der Angeklagte mit einer zweiten Person in der Menge eines „Schwarzen Blocks“ auf und warf aus der Nähe eine Glasflasche auf eine Gruppe von 40 Polizeibeamt*innen in Schutzkleidung. Diese sei am Helm einer Beamtin/eines Beamten zerschellt, verletzte Beamt*innen hätten sich nicht ermitteln lassen. Hachmann sei den beiden Personen gefolgt und habe beobachtet, wie sie in einem Kiosk ihre „Vermummung“ ablegten und sich eine Straßenecke weiter umzogen. Danach habe er sich mit seinen Kollegen Lachmann und Glanzin ausgetauscht. Letzterer ist vermutlich derjenige, der als Zeuge gegen den Angeklagten im G20 Prozess am Dienstag aussagte. Der Angeklagter sei aber nicht am Ort des Geschehens, sondern einen Tag später,in einiger Entfernung vom vermeintlichen Tatort erkannt und festgenommen worden. Die Verteidigung bemängelte, dass der Zeuge nicht persönlich erschienen sei, da in dessen Bericht auch eine Reihe von Vermutungen wiedergegeben wurden, zu denen keine weiteren Fragen gestellt werden könnten.
Der Beschuldigte hat keine Vorstrafen vorzuweisen. Auf die Skepsis der Richterin und Staatsanwältin, die in den Nachfragen zu persönlichen Verhältnissen mitschwangen, merkte der Verteidiger an, dass man „zum Glück nicht in einem anderen Gesetzbuch unterwegs“ sei. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits eine DNA-Abnahme beantragt. Diese hielt die Verteidigung für fragwürdig, legte aber keinen richtigen Widerspruch dagegen ein. Der Angeklagte stimmte der DNA-Abnahme zu und da bereits Gerichtsmediziner*innen bereits vor Ort waren, wurde die Verhandlung für die DNA-Abnahme kurz unterbrochen.
Im Anschluss folgte das Plädoyer der Staatsanwältin, in dem sie den Angeklagten gemäß §§ 114 und 223 StGB für schuldig befand. Sie führte aus, wie gefährlich die Situation gewesen sei und dass es nur Zufall sei, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Sein Geständnis sei strafmildernd zu berücksichtigen, ebenso das Bedauern seiner Tat, seine günstige Sozialprognose und die freiwillige DNA-Abgabe. Allerdings habe auch er einen Teil dazu beigetragen, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung während der Gipfel Tage beeinträchtigt wurde. Daher müsse generalpräventiv geurteilt werden. Der Antrag der Staatsanwaltschaft lautete: 1 Jahr Haft ausgesetzt auf 3 Jahre Bewährung. Zusätzlich eine Bewährungsauflage von 700 Euro.
Das Plädoyer der Verteidigung kritisierte die bisher gefällten drakonischen Urteile und deren Begründungen in den G20-Prozessen, die bereits stattgefunden hatten. Der Verteidiger erwähnte das Vorhandensein eines sogenannten „Anker-Effekts“. Mit Anker-Effekt meine er das Phänomen der Beeinflussung von Individuen durch bewusst gewählte Zahlen, denen diese unbewusst folgen. Allgemein sei es den Gerichten während der Prozesse gegen NoG20Aktivist*innen schwer gefallen sich vom 1. Urteil zu lösen. Dies zeige sich daran, dass Unterschiedlichkeiten in den Verfahren kaum noch Beachtung fänden und fast alle Angeklagten mit einem ähnlichen, ungewöhnlich hohen Strafmaß abgeurteilt würden. Dies gebe Anlass zur Sorge. Weiterhin verwies er auf die mangelnde Verhältnismäßigkeit in den Strafzumessungen. Der Tatbestand von versuchter, gefährlicher Körperverletzung werde durch den besonderen Umstand des G20 von etwas völlig Alltäglichen zu etwas Außergewöhnlichen aufgebauscht. Ähnlich wie es bereits am Dienstag in einem anderen Verfahren durch einem anderen Verteidiger geschah, appellierte er an die Justiz, sich von den „Umstand G20“ und dem „Anker-Effekt“ zu lösen und neutral zu urteilen. Es handele sich bei den G20 Angeklagten größtenteils um Ersttäter*innen. Auf Grundlage des §114 werde für Vergehen, die noch vor einem Jahr mit Geldstrafen geahndet wurden, überzogene Haftstrafen verhängt. Er nannte Beispiele vergangener Strafverfahren mit politischen Hintergrund, einmal handelte es sich um einen Flaschenwurf und einmal um gefährliche Körperverletzung mit einem Geschädigten. Diese basierten auf den gleichen Anklagepunkten, endeten aber mit Geldstrafen. Der Verteidiger äußerte auch Kritik am beantragen Strafmaß. Weiterhin kritisierte er, dass es versäumt wurde, verletzte Beamt*innen ausfindig zu machen. Eine Auseinandersetzung mit diesen und zum Thema Verletzungen sei ebenfalls wichtig.Der Verteidiger verwies zudem auf die Haftempfindlichkeit seines Mandanten. Alle Anträge, die in Haft zu stellen sind, seien ausschließlich auf Deutsch verfasst. Das verfassen von Anträgen würde dadurch erschwert, wenn die den Antrag stellende Person der deutschen Sprache nicht mächtig sei und die Anwält*innen keine Anträge für die Mandant*innen stellen dürften. Des Weiteren habe sein Mandant Verantwortung für seine Taten durch den Verzicht auf eine direkte Zeugenvernehmung übernommen. Der Verteidiger sagte, er hege Zweifel an dem vermeintlichen Gewaltpotential und kriminellen Energie seines Mandanten, denn die sogenannte Vermummung sei lediglich eine Kapuze gewesen. Das vermeintlich gefährliche Verhalten sei ohnehin im Tatbestand enthalten, daher bestehe Zweifel an der geforderten strafschärfenden Berücksichtigung auf Grundlage von vermeintlich gefährlichen Verhaltens. Auch der Umstand der Generalprävention sei hier nicht erfüllt, da nach G20 keine gemeinschaftsgefährdende Zunahme ähnlicher Straftaten festgestellt werden könne. Die Verteidigung beendete das Plädoyer mit einem Antrag auf das Mindeststrafmaß von 6 Monaten auf 3 Jahren auf Bewährung.
Die Richterin ging in ihrem Urteil mit der Staatsanwältin mit – 1 Jahr Haft auf 3 Jahre Bewährung. Sie ließ aber von der Bewährungsauflage ab. Als Begründung dafür, keine mildernden Umstände gelten zu lassen gab sie an, dass die Absichten des Angeklagten klar gewesen seien. Des Weiteren sagte sie, dass der G20 eine Ausnahmesituation dargestellt hätte,nicht mit anderen Demonstrationen vergleichbar sei und deswegen ein entsprechendes Strafmaß erfordere. Der Angeklagte habe mit dem Flaschenwurf seinen Beitrag zu den Unruhen während des Gipfels geleistet. Folglich habe er auch das Gewaltmonopol des Staates in Frage gestellt und bei seiner Tat den „Menschen in der Uniform“ nicht mehr gesehen. Die Polizei verdiene Hochachtung und Respekt für ihren Einsatz und dürfe keine Zielscheibe werden. Die Gesamtsituation sei außerdem anders zu berücksichtigen, als von der Verteidigung gefordert wurde. Das Urteil diene als Warnung und erzieherischer Maßnahme. Sie erteilte keine Bewährungsauflagen, da die Verfahrenskosten hoch genug für das geringe Einkommen des Angeklagten seien.