„Der Knast war eine harte Erfahrung.“ Interview mit Fabio nach seiner Entlassung

Die deutsche Übersetzung der Erzählungen Fabios, der nach über vier Monaten Gefangenschaft endlich frei ist. Das italienische Original ist hier zu finden.

Das hellblaue Hemd ist zerknittert, weil man im Knast
verständlicherweise nicht bügeln kann. Die bereits nachgewachsenen Haare
sind notdürftig frisiert, um der Müdigkeit zum Trotz einen guten
Eindruck zu hinterlassen. Darunter vielleicht auch vereinzelte weisse
Haare. Eine solche Erfahrung zeichnet einen. Vielleicht ein paar Kilo
weniger auf den Rippen, weil es im Knast nur ungesalzene Kartoffeln,
Reis, Brot und halbwegs geniessbares Fleisch gab.
Aber etwas hat sich nicht geändert, in seinem Gesicht glänzt nämlich
immer noch das selbe Grinsen wie eh und je. Ein Grinsen, das sagt: „Es
ist schön, frei zu sein.“

Wie hast du diese Erfahrung überstanden?

Für mich als politischer Häftling war die Haftzeit einfacher als für
einen gewöhnlichen Kriminellen. Denn ich erhielt viel Solidarität, auch
weil sich meine Situation von der der anderen unterschied. Man hat mir
geschrieben, viele versuchten meinen Eltern zu helfen, welche ebenfalls
wunderbar waren. Ich wusste, dass in Feltre und Belluno Kundgebungen
organisiert wurden, welche einerseits meine Freilassung forderten und
anderseits Geld für die juristische Verteidigung organisierten.

Wieso wurdest du verhaftet?

Weil der G20 wegen den Protesten gescheitert ist, weil diese mehr
mediale Aufmerksamkeit erhielten, weil unsere Anwesenheit die Regierung
und den Bürgermeister gestört hat. Der Wirtschaftsminister wurde von den
Protesten blockiert. Wir waren effizienter.

Wieso hast du dich entschlossen zu protestieren?

Es kam von Herzen, ich dachte, es sei gerecht auf die Strasse zu gehen
um zu zeigen, dass nicht 20 Personen um einen Tisch sitzen und das
Geschick der Welt lenken sollten, wir sind frei und wollen über unsere
Leben selbst entscheiden. Die Ungleichheit auf der Welt steigt, die
Klimaveränderung wird nicht von denen ausgebadet, die kommandieren,
Migranten sterben im Mittelmeer, ohne dass es die Menschen kümmert. Es
gab viele Gründe, die mich dazu bewegten, aus dem Haus zu gehen, Urlaub
zu nehmen und hierher zu kommen.

Wie war das Leben im Knast?

Ich hatte Glück, ich war nicht lange im Knast. Fünf Monate sind nicht
viel, es gibt Häftlinge, die sitzen da für Jahre drin und es hilft
nichts, an die Großen zu denken, die da schon durch sind, es reicht, an
andere Jungs wie mich zu denken. Tagsüber las ich, schrieb Briefe und
sprach mit den anderen Häftlingen, mit denen ich immer ein gutes
Verhältnis hatte, viele verhielten sich solidarisch und ich werde ihnen
weiter schreiben. Es war nicht einfach, weil sich nicht alle Wärter
gleich verhalten und du nicht weisst, wann du heraus kommst. Aber ich
habs geschafft.

Woran wirst du dich mit Gelassenheit erinnern?

Für mich war es eine starke Erfahrung: Ich lernte, nett zu sein, allen
zu zuhören und zu versuchen, alle zu verstehen. Im Knast war ich unter
Menschen wie ich, die jedoch mehr verdient hätten. Im Knast treffen sich
die Verletzlichsten, die Unterdrückten, die Migranten, die mit
unvorstellbaren Lebensgeschichten. Ich hatte Glück, hatte wunderbare
Eltern und eine schöne Kindheit, mir mangelte es also an nichts. Während
viele meiner Mithäftlinge dieses Glück nicht hatten. Weil sie auf der
falschen Seite der Erde geboren wurden, an einem armen Ort, wo sie nicht
studieren konnten und auch wenn sie Arbeit hatten, hatten sie kein Geld
für essen und mussten Hunger leiden. In der Hoffnung auf ein besseres
Leben kamen sie nach Europa, aber sie fanden nicht, wonach sie suchten
und mussten sich mit Diebstahl und Drogenhandel über Wasser halten. Das
ist schrecklich.

Hast du Deutsch gelernt?

Ein bisschen, denn alle sprachen es. Die Wenigsten konnten Englisch, nur
einige afrikanische Jungs. Manche Wärter beherrschten es, aber sie
sprachen lieber Deutsch.

Was hast du dir gedacht, als sie dich nicht mehr aus dem Knast liessen?

Es gab viele schlechte Momente, um ehrlich zu sein, rechnete ich auch
nicht damit, heute gehen zu können; ich war auf eine Haftentlassung im
Februar vorbereitet. Aber mir wurde klar, dass es einen Grund gab,
weswegen ich hier war; nämlich, dass ich meinen Widerstand verwirklicht
habe und daher musste ich das überstehen, auch wenn sie mich noch länger
festgehalten hätten.

Fabio traf auf ein Hamburg, voll mit Lichtern und solidarischen
Menschen, dieselben, welche auch seiner Mutter halfen, die nicht ohne
Schwierigkeiten nach Deutschland reisen konnte. „Zu wissen, dass sie für
mich leiden musste, war eine der am schwersten zu akzeptierenden
Tatsachen. Aber ich hatte Glück, sie reichte mir immer eine Hand. Sie
ist wie ein Fels in der Brandung, ich kann mich glücklich schätzen, eine
solche Mutter zu haben.“
Als die Anwälte, seine Mutter, seine Freunde und Fabio – nun endlich
frei – den Gerichtssaal verlassen, treffen sie sich zu einem gemeinsamen
Mittagessen. Der erste Teller schmeckt nach Freiheit, es gibt
Schweinskotelett und Pommes, mit vielen Pommes, so wie Fabio es mag.
Der Mutter fällt als erstes Fabios Gangart auf: „Er wirkt eher verwirrt
als froh.“ In ihrer Stimme schwingt hörbar die Befürchtung mit, der
Knast könnte negative Auswirkungen auf ihren Sohn gehabt haben. Aber
Fabio scheint das nicht zu bemerken, er bedankt sich nur tausendfach für
die „Rettung seines Lebens“ bei ihr. Er wiederholt immer wieder: „Ich
bin aus dem Knast raus“, als wolle er sich selbst davon überzeugen. Kaum
aus dem Gerichtssaal raus, schlägt er vor, ein Bier trinken zu gehen.
Alle stimmen zu.

Die Mutter kann ihre Augen kaum noch von Fabio lassen. Sie nennt ihn
Stern, küsst und umarmt ihn immer noch ungläubig. Sie hält ihn immer
wieder an, sich zu entspannen, während er seine Freunde aus Feltre
aufzählt (aus Cadore ist Fiorenzo gekommen, um ihn von allen zu umarmen)
und seiner Mutter voller Vorfreude sagt: „Wir werden jede menge Zeit
haben, um jede menge Sachen zu machen.“ Genug für weitere drei Monate.
Währen er auf seine Bestellung wartet, beginnt Fabio auf dem Natel
seiner Mutter Zeitungskommentare zu seinem Gerichtsfall durchzulesen,
sie ermahnt ihn: „Das tut dir nicht gut.“ Doch er liest weiter und grinst.
Zu den ersten Sachen, die Fabio geniessen will, gehört ein Kaffee, denn
im Knast war er nicht gut. „Der Kurde kaufte so eine Packung für 20
Euro“, erzählt Fabio und zeichnet mit seinen Händen dabei einen kleinen
Haufen, „ich kann nicht sagen, dass er gut war.“ Auch die Mensa schien
ihre Aufgabe nicht zu erfüllen, denn „ich war dabei angelangt, mich mit
Kaffeelöffel voller Zucker zu zudröhnen.“ Heute wird er wieder zum
Jugendknast in Hahnöversand zurückkehren, diesmal ohne Eskorte und ohne
Handschellen, nur um seine letzten Sachen zu holen.
Jamila Baroni (Fabios Mutter) sucht sich eine Wohnung, denn zurzeit
teilt sie sich ein Zimmer mit einer anderen Italienerin.
Am Abend folgt noch ein Telefonat mit Maria, dem Mädchen, dass mit ihm
verhaftet wurde und wieder frei kam, während er auf seinen Prozess
wartete. Ein Telefonat voller Gelächter und Unbeschwertheit. Das
brauchte es.