(Haft-)Strafe ohne Straftat

Seit den #NoG20-Mobilisierungen in Hamburg konnten wir beobachten, wie Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und Teile der Politik versuchen eine neue Idee von Repression zu etablieren. Angestrebt werden nun immer wieder Verurteilungen, für die nicht einmal mehr eine real stattgefundene und individuell zugeordnete Straftat vorgeworfen wird – bestraft wird die politische Haltung der Aktivist*innen.

In drei verschieden Verfahrenskomplexen wirft die Staatsanwaltschaft
derzeit den jeweiligen Betroffenen gar nicht erst vor, selbst konkrete Straftaten begangen zu haben:

1. Im Elbchaussee-Verfahren soll das alleinige Mitlaufen in der Demo
als „schwerer Landfriedensbruch“ bestraft werden. Es wird versucht, den entstandenen Sachschaden jeder Person, die bei der Demonstration dabei gewesen sein soll, anzulasten.
2. Im Parkbank-Verfahren reicht der Staatsanwaltschaft bereits die
Möglichkeit, eine Straftat geplant haben zu können (die so genannte „Verabredung zu einem Verbrechen“).
3. Im Rondenbarg-Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft nach ihrem
ersten gescheiterten Versuch im Prozess gegen Fabio offenbar den Eindruck, dass der Vorwurf „besonders schwerer Landfriedensbruch“ nicht für eine pauschale Verurteilung der Demonstrant*innen reichen könnte. So versucht sie nun zusätzlich, die gesamte Demonstration als „bewaffnete Gruppe“ umzudefinieren.

Ob die Staatsanwaltschaft damit durchkommt, ist noch nicht entschieden, denn auch die Prozesse, die schon in einer Instanz stattgefunden haben, sind noch nicht abgeschlossen.

Diese exzessive Ausdehnung versucht die Hamburger Staatsanwaltschaft darüber zu realisieren, dass sie die Anwendung der jeweiligen Strafvorwürfe verdreht. Beim Vorwurf „Landfriedensbruch“ versucht sie mit Hilfe des sogenannten „Hooliganurteils 1 “ des BGH aus 2017, welches laut Urteil jedoch explizit nicht auf Demonstrationen
anwendbar ist, offenbar die Zeit auf vor 1970 zurückzudrehen – damals wurden die Voraussetzungen wann wer einen Landfriedensbruch begehen würde ungewöhnlicherweise entschärft, da sie mit dem Versammlungsrecht kollidierten. Damit dies möglich ist, versucht die Staatsanwaltschaft unliebsamen Demonstrationen das Politische abzusprechen.

Was die vermeintliche „Verabredung zu einem Verbrechen“ betrifft, so
wurde dieser Vorwurf bisher selten angewandt – wenn überhaupt, dann ging es jeweils um sehr konkrete, verabredete und juristisch
nachweisbare (Tötungs-)pläne.

Auch eine Demonstration, bei der ein paar gängige Feuerwerkskörper
fliegen, mal eben als „bewaffnete Gruppe“ zu bezeichnen, ist absurd.

Was all diese Angriffe der Staatsanwaltschaft eint, ist der Versuch,
Menschen mit politisch missliebiger Meinung endlich alleine für diese bestrafen zu können – bestenfalls mit Haft, eine Rechtsauffassung ohne Gesetzesgrundlage, die mit „Feindstrafrecht“ beschrieben wird. Danach verlieren diejenigen, die die staatliche Rechtsordnung bewusst ablehnen oder zerstören wollen, ihre Rechte als Bürger*innen und dürfen deshalb vom Staat mit allen Mitteln bekämpft werden. Das
„Feindstrafrecht“ kennt man in Deutschland bisher eigentlich nur im
Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen.

Es geht bei diesen „Versuchen“ also nicht „nur“ um die Begrenzung des
Versammlungsrechtsrechts über den strafrechtlichen Weg, vielmehr soll ein Bedrohungsszenario aufgebaut werden – das Gefühl „Wir können euch einfach so einsperren wenn wir wollen“ soll in die Köpfe.

Andere Stellen befeuern währenddessen das Bild einer linken Gefährlichkeit.

So sorgten in Hamburg der Staatsschutz und der Verfassungsschutz im Vorfeld der Rondenbarg Solidaritäts-Demonstration, zum Parkbank Prozess und bei anderen Gelegenheiten für die begleitende
Propaganda.

Und parallel zum Rondenbarg-Verfahren, kaum beachtet, schlug Herbert Reul, der Innenminister von NRW, bei der Innenministerkonferenz wie nebenbei eine Verschärfung des „Landfriedensbruch-Paragrafen“ ganz im Sinne der Anklagen vor. Als
Vorwand dienen ihm die „Querdenken“-Proteste, doch schon in der weiteren Erklärung nannte er den Hambacher Forst und fasste zusammen: Für die Polizei sei es zu kompliziert, die „guten“ von den
„bösen“ Demonstrant*innen zu trennen, darum müssten bei einem Regelbruch alle Anwesenden gleichermaßen verfolgt werden. Der
Wunsch der Hamburger Staatsanwaltschaft nach einer demonstrationsfeindlichen Verdrehung des Versammlungsrechts sollte hier ihren Paragraphen bekommen.

In all diesen Verfahren verschwimmen die Grenzen der Gewaltenteilung. Staatsschutz und Verfassungsschutz malen Gespenster an die Wand, die Politik fordert harte Strafen und die
Staatsanwaltschaft klagt entsprechend an.
Das höchste Hamburger Gericht, das Oberlandesgericht, lässt sich dabei keine Gelegenheit entgehen, politisch rechtslastige Beschlüsse festzuschreiben. An diesen Beschlüssen orientieren sich dann
„kleinere“ Gerichte.

Diese Angriffe sind umso bemerkenswerter, weil sie nicht als Reaktion
auf eine tatsächliche Stärke antiautoritärer, emanzipatorischer oder linksradikaler Politik erfolgen, sondern die parallel stattfindende gesellschaftliche Bewegung nach rechts aufgreifen und verstärken. Hier wird juristisch eine Verschiebung forciert, die wie das Echo rechtsradikaler oder verschwörungsideologischer Vorstellungen wirkt.

Dabei stehen Hamburg und die BRD mit dieser Entwicklung nicht allein. In vielen anderen Ländern beobachten wir Ähnliches.

Dem lauten Ruf nach einem autoritären Staat wird vielerorts mit
zunehmender Begeisterung gefolgt.

EA Hamburg, März 2021