Presseerklärung der Demoleitung „United We Stand“ in Billwerder am 01.10.2017
Letztens, im Kosmos. Galaxie Milchstraße, Sonnensystem, 3. Stein von der Sonne, Ballungsraum Hamburg, Randzone, Billwerder: Ein glatzköpfiger Hüne mit schwarzer Sonnenbrille, in einem schwarzen Rocker-Hoodie, neben ihm seine Begleiterin, blond, in weißem Hoodie. Sie halten einen Menschen fest. Andere Menschen wollen eingreifen, beide ziehen ihre Waffen und halten die Aufständischen auf Abstand.
Eine filmreife Szene, jedoch nicht aus „Blade Runner“, „Highlander“ oder einem anderen Endzeit-Movie, es ist kein „Replikant“, der „außer Betrieb“ genommen werden soll, sondern ein vermeintlicher Sticker-Kleber.
Anderer Film: Es ist Sonntagnachmittag, die monatliche Kundgebung vor dem Gefängnis Billwerder ist gerade bei bestem Sonnenwetter, Kaffee und Kuchen und mit viel Musik und Redebeiträgen beendet worden. Es gab keine Zwischenfälle, auch die Einsatzleitung der Polizei hat der Demo-Leitung gegenüber keine Beschwerden geäußert. Alles entspannt und gut gelaunt. Die Teilnehmer*innen sind auf dem Weg nach Hause, an der S-Bahn Billwerder Moorfleet. Plötzlich Schreie: „Hey!“, „Was soll das?“, „Alerta Antifascista!“ und dann „Haut ab!“. Wir sind noch am Abbauen des Lautsprecherwagens. Fragen, was los sei. Leute kommen von der Brücke über die Bahn und berichten, dass 2 Zivilpolizisten versucht hätten jemanden festzunehmen und dabei Waffen gezogen haben.
Wir sprechen den Einsatzleiter, der dann auch von der Brücke kommt, darauf an, was da los sei, wir hätten gehört, dass Schusswaffen gezogen wurden. Er antwortet: „Zwei Kollegen sind bedrängt worden.“, „Das wird Konsequenzen haben“. Auf unsere Frage, welche zu erwarten seien: „Beim nächsten Mal sind wir hier mit mehr Personal. Darauf können Sie sich einstellen.“.
Wir nehmen das dann erstmal so mit, abwartend. „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Bisher waren unsere Kundgebungen ohne Stress und Auseinandersetzungen abgelaufen.
Kraftvolle Blumensträuße unserer Solidarität. Ungefährlich.
Einige Wochen später erreicht uns dann ein Brief der Leiterin der JVA Billwerder. Das Kino geht weiter: „(…) mussten wir leider feststellen, dass die seitens der Polizei erteilten Hinweise und Auflagen teilweise keine Beachtung fanden.“
Was diese Hinweise und Auflagen seien, die „teilweise nicht beachtet“ wurden, wird dann erklärt:
“ (…) dass entgegen § 115 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Verkehr mit Gefangenen) über das Abspielen bestimmter Musiktitel eine Kontaktaufnahme in dem Sinne erfolgte, dass wohl Musikwünsche von Inhaftierten erfüllt wurden. Auch die Lautstärke der Musik war nicht akzeptabel.“
Gegen die Auflage, die Zuwegung zur JVA freizuhalten, wäre „seitens der Teilnehmer massiv verstoßen (worden), indem zum einen Besucher von Gefangenen mit ihren Pkw durch Sitzblockaden daran gehindert wurden, bis zum Parkplatz der JVA zu fahren, zum anderen wurde ein Gefangenentransportwagen (…) erst nach mehrfacher Aufforderung widerwillig durchgelassen.“
Wir wundern uns stark, dass die Leiterin der JVA uns einen Brief schreibt, um uns auf
Ordnungswidrigkeiten hinzuweisen. Ist das ihre Aufgabe?
Ganz davon abgesehen, dass die Vorwürfe an Absurdität grenzen und verziert sind mit Wertungen wie „nicht akzeptabel“, „massiv“ oder „widerwillig“.
Dazu: Der Versammlungsleiter hatte nach dem Hinweis, dass ein Krankentransport demnächst passieren würde, alle Sitzenden persönlich und direkt angesprochen, den Sachverhalt erklärt und im Moment des Passierens selbst für eine freie Durchfahrt gesorgt. Das Tempo des Wagens war dem Passieren einer Menschenmenge angemessen langsam, aber in keiner Weise mutwillig verzögert. Die klassischen
Signale für Wegerecht, Blaulicht und Martinshorn, wurden nicht genutzt.
Wir können diese Ereignisse nur als Versuche werten uns einzuschüchtern. Dieselbe Strategie, wie sie bereits in medialer Breite nach dem G20 Gipfel von seiten der Polizei eingesetzt wurde und eine Stimmung der Hetze in der Bevölkerung erzeugt hat. Falschaussagen gekoppelt mit Stimmungsmache. Filmreif. Für uns ein Zeichen, dass politisch keine anderen Mittel mehr gegen uns bleiben.
Wir waren und sind erfolgreich in unseren Bemühungen, Protest sichtbar zu machen, Menschen zu organisieren und sichtbar zu werden. Der G20 hat das gezeigt. Unsere Strukturen haben sehr gutzusammengearbeitet, so auch in der Folge-Kampagne „United We Stand“. Der Kampf geht weiter und wir sind die Akteur*innen.
Wir erwarten für die nächste Demonstration in Billwerder am 05.11.2017 von 14:00 – 17:00 Uhr internationalen Besuch von Angehörigen und Freund*innen der Gefangenen, einen bunten Zug zum Knast. Und auch dieses Mal unbewaffnet, laut und kräftig.
Unsere stärkste Waffe ist die Solidarität und die Organisierung der Menschen untereinander. Das werden wir weiter entwickeln. Die „neue Weltordnung“ wird anders aussehen als in den Endzeit-Szenarien von oben. Kreaturen, die nach autoritären Programmen funktionieren, wie z.B. Aliens, Borg, Highlander, Robocops oder Blade Runner bleiben bitte zuhause oder auf angemessenem Abstand.
Wir erwarten den bunten Rest mit offenen Armen.
Niemand bleibt allein! United We Stand!
Demoleitung „United We Stand“, 22.10.2017
Kontakt: ag-kundgebung@riseup.net PGP-Key
###Hier noch 2 Aussagen zu der Eskalation in Billwerder nach der Demonstration am 01.10.2017 gegen 17:00 Uhr ###
### Aussage 1 ###
„Nach der Kundgebung gingen die meisten Demonstrationsbesucher*innen zur S-Bahn. Auf dem Weg dorthin kam es plötzlich zu einer unübersichtlichen Situation, bei der eine Person plötzlich von zwei Leuten festgehalten wurde. Auf Grund des Auftretens und Aussehens der beiden Personen – ein großer, sehr kräftiger Mann mit Glatze, dunkler Sonnenbrille und einem Hoody auf dem in „altdeutscher“ (?) Schrift „13“ [„Men Of Mayhem“ – Klamottenlabel im Rocker-Stil (d.Red.)] stand und eine mittelgroße Frau mit blonden mittellangen Haaren und weißem Hoody – vermuteten einige der Beobachter*innen, dass es sich um Nazis handelte.
Durch Rufe der Umherstehenden kamen mehr Menschen zu der Situation.
Plötzlich zogen die beiden Personen jeweils eine Waffe und zeigten auf die heraneilenden Menschen, um diese auf Abstand zu halten.
Die Situation war sehr unübersichtlich – einige liefen in Panik weg.
Manche kamen hinzu, da sie nicht wussten, dass dort Menschen mit gezogenen Waffen standen.
Erst als ein uniformierter Polizist durch die Menge lief und entspannt auf die beiden Waffenhalter*innen zuging – wurde den Umstehenden erst klar, dass es sich um Zivilpolizist*innen handeln muss. Diese begaben sich dann in ein ziviles Auto, stiegen ein und fuhren weg.
Zu keinem Zeitpunkt gaben sie sich als Polizist*innen erkennbar. Die Waffen hatten sie bis zum Einsteigen in das Auto in der Hand. Auch die uniformierte Polizei klärte nicht auf, dass es sich um Kolleg*innen handelte.“
### Aussage 2 ###
„Am Sonntag, 1.10.2017 kam es direkt nach der Knastkundgebung zu einem ernsten Zwischenfall mit
Zivilbullen. Sie griffen einen Kundgebungsteilnehmer auf der S-Bahn Brücke Billwerder-Moorfleet an.
Nachdem sich die Kundgebung aufgelöst hatte und viele TeilnehmerInnen auf den S-Bahnsteig gehen
wollten, schrie ein Kundgebungsteilnehmer auf der Brücke oberhalb des S-Bahnhofs mehrfach um Hilfe.
Er wurde von einem sehr großen, kräftigen Mann mit Glatze festgehalten. Für die KundgebungsteilnehmerInnen, so auch für mich, sah es nach einem Angriff von einem Nazi / Nazirocker
und Frau aus. Als ca. 30-40 Leute über die S-Bahntreppe dem Angegriffenen auf der Brücke zu Hilfe eilten, schlug der Glatzkopf zu, der angegriffene Kundgebungsteilnehmer lag auf dem Boden. Als ich oben ankam, sah ich, wie der Mann und kurz danach auch die Frau Knarren zogen. Mit denen sie
herumfuchtelten, nicht aber zielgerichtet einsetzen. Es war eine bedrohliche Situation, da auch in dieser Situation noch das Bild von Nazis da war, Verwirrung ob der Schusswaffe herrschte und Zweifel kamen, ob es sich vielleicht doch um Zivis handelt.
Erst kurze Zeit später wurde klar, dass es Zivis sein mussten, weil einige (2 oder 3) uniformierte Bullen sich ohne Worte zwischen die beiden Angreifer und die KundgebungsteilnemerInnen stellten und somit den Abzug ihrer Zivi-KollegInnen sicherten. Die Zivis fuhren mit ihrem Zivilfahrzeug, einem
unscheinbaren BMW davon.“