Prozessbericht zum 23. und 24. Prozesstag im Elbchaussee-Prozess

Donnerstag 2. Mai
Am Vormittag wurden vier Polizeibeamt*innen als Zeug*innen gehört. Sie
wurden zum Zustandekommen der teilweise eklatant unzutreffenden Vermerke
in der Akte bezüglich der Anwohner*innenbefragungen vernommen. Neben
üblichen standardisierten Polizeizeug*innen-Aussagen wie z. B.: „Wenn ich
das so aufgeschrieben habe, wird sie das auch so gesagt haben“, stellte
sich heraus, dass sie unabhängig von ihren Vermerken keine konkreten
Erinnerungen mehr an die Befragungen haben. Es ergaben sich erhebliche
Fehlerquellen zu den Vermerken. So blieb unklar, ob die Zeug*innen
eigentlich vor der Befragung durch die Polizei belehrt wurden. Die
Lesart ist nun, dass es sich ja bloß um eine „informatorische Befragung“
und nicht um eine Vernehmung gehandelt habe. Teilweise fanden nach den
Telefonaten mit Zeug*innen und noch vor der Verschriftlichung dieser,
polizeiinterne Gespräche statt, ob die Zeug*innen auf Grund der
mitgeteilten Inhalte förmlich zu vernehmen seien oder nicht. Außerdem
ergab sich bei den Aussagen zum Teil ausdrücklich, dass die Ermittlungen
bei den Anwohner*innenbefragungen grundlegend mit einem elementaren
Makel behaftet sind: Tatsächlich war der Auftrag an die ermittelnden
Beamt*innen Zeug*innen zu finden, die über Videos und Fotos verfügen,
die für Identifizierungen(!) geeignet sind. Es ging also in allererster
Linie darum, gut verwertbares Fahndungs-Material zu finden um
„Verantwortliche“ ausfindig zu machen. Sämtliche Zeug*innenangaben zu
Beobachtungen, Ablauf etc. waren für die Ermittelnden in diesem Moment
nicht maßgeblich und wurden unhinterfragt und eben zum Teil falsch
wiedergegeben aufgeschrieben. Man wollte Hinweise nur festhalten, um
später im Laufe der Ermittlungen darauf zurückgreifen zu können. Es war
offenbar nicht vorgesehen gewesen, dass die Staatsanwaltschaft diesen
„Beifang“ dann als einen wichtigen Beleg in der Anklage nutzen würde.
Dies entspricht auch der Qualität der Berichte. Eine daran anschließende
Erklärung der Verteidigung veranlasste die Vorsitzende Richterin
sinngemäß zu der Aussage, dass man ihrem Eindruck nach „alles neu“
erfragen müsse.

Am Nachmittag des Donnerstags kam dann die Hubschrauberbesatzung, die
teilweise über dem Fluchtweg Videoaufnahmen gemacht hatte. Das war
unspektakulär, zumal das vernommene Besatzungsmitglied glaubhaft
darstellte, sie seien aufgrund sichtbarer Rauchsäulen Richtung
Elbchaussee geflogen und hätten dann erst nach Auflösung der Demo vor
Ort zu videografieren begonnen. Ihre Funksprüche wurden, zur Frustration
der Besatzung, nicht „quittiert“, d. h. es gab keinerlei Reaktion darauf.
Wie bereits in anderen G20-Verfahren ist die technische Brillanz der
Videoaufnahmen erstaunlich. Der Zeuge kommentierte es so, dass es
eigentlich egal sei, wo über dem Hamburger Stadtgebiet sich der
Hubschrauber aufhalten würde. Die Kameras seien so gut, dass sie von
jedem Punkt am Boden bis hin zu Autokennzeichen relativ gute Bilder
liefern könnten, vorausgesetzt die Sicht ist von Hindernissen
unbeeinträchtigt.
Für dieses Verfahren hat es den Verfolgungsbehörden aber trotzdem nichts
eingebracht.

Freitag 3. Mai
Am Freitag stachen zwei Zeug*innenvernehmungen heraus. Zum einen eine
Anwohnerin der Kloppstockstraße, die berichtete, auf der Straße eine
bemerkenswerte Begegnung gehabt zu haben. Nachdem Ihre Nachbar*innen und sie
sich aus ihren Häusern getraut hätten, seien sie auf der Straße einem
Mann begegnet. Dieser sei: 40-45 Jahre alt, schlank, sportlich, Capi
auf, Sonnenbrille und habe ggf. dunkle Bekleidung getragen. Er habe sich
mit einem Dienstausweis vorgestellt und sei vom
Verfassungsschutz (VS) gewesen. Der habe mit allen Nachbarn auf der
Straße einen Schnack gehalten. Er habe gesagt, man habe die ganze Gruppe
„begleitet“. Später habe sie erfahren, dass der mit einem silbernen
Bus/Transporter unterwegs gewesen sei. Daneben berichtete sie von den
„normalen“ Beobachtungen: z. B. Menschen, die sich im Gebüsch umgezogen
haben sollen.
Die Zeugin hatte ein etwas „gefühltes“ Aussageverhalten, war auf der
anderen Seite aber sehr differenziert und präzise. Die
Staatsanwaltschaft hat vorsichtshalber jedenfalls schon mal erklärt,
dass sie nichts für das Fehlen der VS-Infos könne, weil ihr immer nur
mitgeteilt worden sei, dass der VS nichts für sie habe. Die
Staatsanwaltschaft verteidigt sich nun also schon präventiv. Es wird
jetzt weitere Nachfragen beim Verfassungsschutz geben.

Der andere bemerkenswerte Zeuge war ein “normaler“ ziviler Fahnder vom
PK21. Er sei am Bahnhof Altona unterwegs gewesen, da nach ihm
mitgeteilten Hinweisen dort angeblich gegen 08.00 Uhr eine größere
Personengruppe zu erwarten war.
Er habe sich mit seinem Kollegen zurückgezogen als eine solche
auftauchte und mitgeteilt, dass aus Richtung Altonaer Balkon eine Gruppe
kommt. Er ging davon aus, dass dann „die uniformierten Kräfte“
auftauchen, die zu seiner großen Überraschung aber nicht kamen. Im
Anschluss sei er dann am Tatort herum gefahren und habe mit Kollegen vom
Streifendienst Zeugen gesucht und mit diesen gesprochen. Er selbst sei
ganz in schwarz gekleidet gewesen. Der Versuch der Staatsanwaltschaft –
und teils auch des Gerichts – ihn in einen silbernen Bus zu setzen,
funktionierte nicht. Stand jetzt ist, das er nicht „der Mann vom VS“ ist.

Derzeit gibt es auch einen Antrag der Verteidigung, den Beschluss zum
Ausschluss der Öffentlichkeit aufzuheben, also die Öffentlichkeit wieder
zuzulassen. Nach Äußerungen der Vorsitzenden sieht die Kammer das
allerdings im Moment eher nicht.